Flußfahrt
hatte. Ich schob die anderen Finger hinein, und während ich so an der einen Hand hing, tastete ich mit der anderen weiter und suchte nach einer Fortsetzung der Spalte: sie fand sich. Jetzt hatte ich beide Hände fast bis zu den Handflächen in dem Felsen, und die Kraft des Steins teilte sich mir mit. Ich zog mich hoch wie an einem Fenstersims und schwang ein Bein hinauf. Schließlich gelang es mir überraschend, bis zur Hüfte in die Felsspalte einzudringen, obwohl dieser Teil meines Körpers, wie auch sonst, am meisten Widerstand leistete. Ich zwängte mich in den Felsen hinein wie eine Eidechse, immer tiefer und tiefer. Als ich mich in der Felsspalte ausstreckte, wich alle meine Energie aus mir. Der Bogen rutschte von meinem Arm herunter, und ich konnte ihn nur noch durch eine Bewegung mit dem Handgelenk aufhalten. Ich zog ihn mit in die Felsspalte. Die Doppelspitzen lagen an meiner Kehle.
16. September
Ich war in der Felsspalte. Ich lag auf der Seite, die Wange an meine Schulter gepreßt. Ich spähte hinaus und dachte an nichts. Es war, als läge ich seitwärts in einem ungedeckten Grab, auf der einen Seite das Gestein, auf der anderen die Finsternis. Das Fiberglas des Bogens lag kalt in meiner Hand. Kalt und vertraut. Die Biegung des Bogens fühlte sich schön an. Eine kühle, fließende Glätte, und daneben lagen – oder standen – starr die Pfeile, deren Federn sich leicht sträubten, wenn ich mich bewegte, und deren Spitzen mich stachen. Aber es war ein wohltuender Schmerz; es war etwas Reales, etwas, das der Situation angemessen war. Ich lag da in der Natur. Meine Hosenbeine waren von Urin durchtränkt, weder kalt noch warm, sondern irgendwie lau. Jetzt mußt du nachdenken, sagte ich mir, nachdenken. Aber ich konnte es nicht. Ich wollte noch nicht nachdenken, eine Weile lang konnte ich es noch aufschieben. Ich schloß die Augen und sagte ein paar Worte, die mir ganz vernünftig schienen, die aber fehl am Platze waren. Ich glaube, daß ich von dem Werbeauftrag irgendeiner Bank sprach, über den Thad und ich uns nicht einig waren. Es kann aber auch etwas ganz anderes gewesen sein. Ich kann es heute nicht mehr sagen. Die ersten Worte, an die ich mich wirklich erinnere, kamen sehr deutlich. Was für eine Aussicht. Was für eine Aussicht. Dabei hielt ich die Augen geschlossen. Durch meine Gedanken rauschte der Fluß, und ich hob die Lider ein wenig und sah genau das Bild vor mir, das mir in Gedanken vorgeschwebt hatte. Eine Sekunde lang wußte ich nicht, was ich sah und was ich mir vorstellte – aber das war unwesentlich, denn beides war vollkommen identisch. In beidem war der Fluß. Er breitete sich dort unten in die Ewigkeit aus, und der Mond lag so gewaltig darüber, daß mir die Augen weh taten und daß auch meine Gedanken unwillkürlich zuckten wie meine Lider. Was? fragte ich. Wo? Es gab nur das Hier, nichts anderes. Doch wer? Unbekannt. Wo konnte ich beginnen? Zuerst beginnst du mit dem Bogen, sagte ich mir, und dann gehst du die Sache langsam wieder an, arbeitest dich hier heraus und weiter nach oben. Ich hielt den Bogen an mich gepreßt, es wurde mir von Augenblick zu Augenblick klarer, daß ich es noch einmal, und zwar bald, wagen mußte. Aber nicht jetzt, dachte ich. Mochte der Fluß noch weiterfließen. Und mochte der Mond noch eine Weile herunterscheinen. Ich hatte den Bogen, und ich hatte einen guten Pfeil und einen anderen, mit dem ich immerhin noch einen Schuß auf kurze Entfernung riskieren konnte. Dieser Gedanke fuhr mir wie ein Adrenalinstoß durch alle meine Adern. Herrlich. Herrlich. Drückte dieses Wort es aus? Ziemlich genau, wie mir schien. Und ich hatte noch eine Menge Nylonseil und ein langes Messer, das man mir an die Kehle gehalten hatte und das von einem Mörder neben meinem Kopf in den Baum gestoßen worden war. Jetzt steckte es jedoch nicht mehr im Baum, jetzt hing es an meiner Seite. Das Wasser des Flusses hatte seiner scharfen Klinge nicht viel anhaben können, und wenn es darauf ankam, Haare abzurasieren, so war es noch scharf genug. Tut es noch weh, wo diese Waldratte, dieses rotnackige Ungeheuer, mir damit quer über die Brust gefahren ist? Es schmerzte noch. Gut. Bin ich bereit? Nein. Noch nicht. Es muß noch nicht jetzt sein. Aber bald. Es ließ sich leicht sagen: Ich begreife nicht. Und ich sagte es auch. Aber darum ging es im Grunde gar nicht. Wesentlich war nur, daß ich hier war – und was ich vorhatte. Ich machte mir wenig Sorgen. Soweit ich es beurteilen
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