Flusskrebse: Roman (German Edition)
Straßensperren. Die Milizen haben ‚Zölle’ eingehoben. Sie haben den Leuten einfach abgenommen, was sie wollten. Wenn die Leute Vieh oder Gemüse zum Markt gebracht haben, hat man ihnen die Hälfte abgenommen, und wenn sie Zucker und Salz oder Batterien nach Hause gebracht haben, hat man ihnen wieder die Hälfte abgenommen. Die Leute haben Angst gehabt und sind geflohen. Mein Vater hat bald keine Schüler mehr gehabt. Was sollte er tun? Sie haben ihre Sachen zusammengepackt und sind über die Grenze nach Burundi gegangen. Fünf Familien auf einem Pickup! Die Wegelagerer an den Straßensperren haben sie immer wieder ausgeraubt, aber es ist ihnen noch soviel geblieben, dass sie mit dem Bus von Bujumbura nach Kigali und von Kigali nach Bukavu fahren konnten.
Mein Onkel hat die Familie meines Vaters aufgenommen. Aber mein Vater hatte fast kein Geld mehr. Und wie sollte er welches verdienen? Mein Vater half meinem Onkel Benzin zu holen und meine Mutter half meiner Tante bei ihren Einkäufen. Aber deswegen gab es nicht mehr Taxifahrer, die Benzin kaufen konnten und nicht mehr Frauen, die Geld für Lebensmittel hatten. Ich konnte nicht mehr in die Schule gehen. Mein Vater sagte, ich sollte das Semester noch fertig machen, denn es war schon bezahlt. Aber welchen Sinn hätte das gehabt? Ich konnte ja doch keinen Abschluss machen. In den paar Monaten, die mir noch blieben, würde kein Wunder geschehen.
Ich sprach mit meinen zwei Cousins darüber. Sie sagten: ‚Gehen wir in die Goldminen! Ohne uns werden sie es leichter haben. Wir werden soviel Geld verdienen, dass wir es nach Hause schicken und ihnen helfen können.’ Aber ich sagte: ‚Coltan ist besser.’ Ich wusste, was Coltan ist. Ich hatte das in der Schule gelernt. Ein Mineral, ein Gemisch aus Colombit- und Tantalerz. Ich wusste, dass man aus Tantal Kondensatoren für Computer und Mobiltelefone und dergleichen macht. Aber sonst wusste ich nicht viel. Ich wusste nicht, wie die Arbeit in den Minen wirklich aussieht. Ich dachte nur, da es mehr Coltan gibt als Gold, muss die Arbeit leichter sein. Meine Cousins waren einverstanden.
Ich ging in einen anderen Stadtteil, wo mich keiner kannte, und verkaufte alles, was ich entbehren konnte: Meine Schuluniform, ein paar gute Schuhe, ein paar Bücher. Meine Cousins machten es ebenso, aber sie verkauften auch etwas von den Waren ihrer Mutter. Am nächsten Tag gingen wir zu Fuß bis an den Stadtrand, um Geld zu sparen. Dort warteten wir auf einen der Kleinbusse, die nach Goma fuhren. Unterwegs trafen wir einen Taxifahrer, den wir kannten, und baten ihn, meinem Onkel auszurichten, dass wir unterwegs in die Minen waren und bald Geld schicken würden. Von Goma schlugen wir uns nach Masisi durch. Wenn es ging, fuhren wir mit Lastwagenfahrern mit, die verlangten weniger als die Busfahrer. Ein paar Mal kamen wir an Straßensperren. Die Fahrer wussten schon, wo die Sperren waren, und sie wussten auch, wieviel sie den Soldaten geben mussten, damit sie sie in Ruhe ließen. Um uns kümmerte sich meistens niemand. Nur einmal sagte uns ein Fahrer: „Passt auf, die da vorne sind Mai-Mai, die sind unberechenbar!“
Wir hatten Angst, aber was sollten wir tun, wir mussten irgendwie zu den Minen kommen. Als wir durch waren, erklärte uns der Fahrer: ‚Die Mai-Mai sind gefährlich, weil sie glauben, dass sie unbesiegbar sind. Ihre Priester bespritzen sie mit heiligem Wasser, das sie unverwundbar macht und machen allerhand anderen Zauber.’ Er erzählte uns auch, dass die Soldaten alle Haschisch rauchten.
Wir trafen noch mehr Männer und Jungen, die zu den Minen wollten. Sie sagten, wir sollten nicht nach Kibabi oder Katoyi gehen. Dort wären die Interahamwe, die würden uns umbringen. Wir kamen schließlich in einen Ort namens Luwowo. Es sah grässlich aus. Man sah keine Rinder, keinen Mais, keinen Maniok, keine Bananenstauden. Überall nur nackte, aufgewühlte rote Erde. Wir gingen auf eines der Löcher zu, die in die Erde gegraben waren. Ein Wächter kam uns entgegen und fragte uns, was wir wollten. Wir sagten ihm, dass wir Arbeit suchten und er schickte uns zum Manager. Der saß da unter einem Sonnendach neben einem Schuppen. Ja, wir können Arbeit haben, sagte er. Wir fragten, wieviel er uns zahlen würde. 6 Dollar pro Kilo. Wir dachten, ein Kilo Erz, das kann nicht so schwer sein, aber wir wussten nicht, wieviel Erde und taubes Gestein man ausgraben muss, um ein Kilo Erz zu gewinnen. Er fragte uns, ob wir Taschenlampen hätten.
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