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Flusskrebse: Roman (German Edition)

Flusskrebse: Roman (German Edition)

Titel: Flusskrebse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Auer
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alle krank. Lasst euch nicht ein mit denen!’ Bei mir in der Schule hatte es eine Kampagne gegen AIDS gegeben, ich wusste, was gemeint war. Aber die Arbeiter, die uns gewarnt hatten, sie gingen doch zu den Mädchen, und nicht nur auf ein Bier. Da war eine, sie war noch nicht 14, sie war aus meiner Gegend, aus einem Dorf, nicht weit von meinem. Sie redete manchmal mit mir auch ohne dass ich ihr ein Bier zahlte. Weil wir aus derselben Gegend waren, fühlten wir uns verbunden. Wenn dann ein Mann sie einlud, der zahlte, ging sie zu ihm. Ich erzählte ihr von unserem Plan, eine eigene Mine aufzumachen. Ich sagte zu ihr: „Es macht mir nichts aus, was du hier gemacht hast. Wenn ich genug Geld verdient habe, können wir heiraten.“ Sie lachte mich aus und sagte: „Du weißt doch, dass ich nicht so lange leben werde!“ Sie hat recht behalten. Bei einem Überfall der Mai-Mai haben Soldaten sie vergewaltigt und so schwer verletzt, dass sie gestorben ist. Aber sonst wäre sie eben an AIDS gestorben.
    Unser Lager ist zweimal von Mai-Mai überfallen worden. Sie haben gesagt, wir müssen Steuern zahlen. Sie haben alles Geld beschlagnahmt, das sie gefunden haben, bei den Minenbesitzern und bei den Händlern und bei den Arbeitern. So haben wir wieder alles verloren, die Ersparnisse von drei Jahren. Die RCD-Soldaten, die uns hätten beschützen sollen, sind davongelaufen. Die Mai-Mai haben uns gezwungen, alles Erz auf ihre Lastwagen aufzuladen und haben es abtransportiert. Sie haben gesagt, der Erzabbau ist illegal, es ist illegal, dass mit den Steuern die RCD-Regierung in Goma finanziert wird.
    Nach dem zweiten Überfall sind die Mai-Mai geblieben. Sie sagten, wir müssten nun für sie arbeiten, sie würden die rechtmäßige Regierung in Kinshasa vertreten. Für die Mai-Mai zu arbeiten war Sklaverei. Wir mussten alles abliefern, was wir schürften und sie gaben uns nur verfaulte Kartoffeln und Mais, damit wir uns Essen kochen konnten. Nach einem halben Jahr flüchteten wir eines Nachts zusammen mit unserem früheren Manager, der jetzt auch hatte Erz hacken müssen.“
    Die beiden Männer saße auf den Stufen neben der leeren Pizzaschachtel. Das Ganglicht hatten sie schon seit einiger Zeit nicht wieder eingeschaltet.
    „In der Stadt wird es nie richtig dunkel“, sagte der Fremde. „Als Kind habe ich die Dunkelheit geliebt. In der Regenzeit, wenn keine Sterne zu sehen waren, dann war die Nacht wirklich schwarz und undurchdringlich. Dann habe ich mich manchmal aus dem Haus geschlichen. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Nacht mich beschützt.“
    „Trinken Sie Wein?“ fragte der Mieter, ermutigt, weil der Fremde in seiner Erzählung Bier erwähnt hatte. Er schraubte den Verschluss von der Flasche und hielt sie dem anderen hin. Der nahm die Flasche, zögerte, stellte sie wieder ab und sagte: „Einen Moment!“ Er verschwand in der Wohung, wo er sein Lager hatte, und kam nach einer Minute mit einem Pappbecher von McDonalds wieder, den er an der Gangwasserleitung auswusch. Der Mieter schenkte ihm großzügig ein und sagte: „Santé!“
    „Santé“ antwortete der Fremde.
    Sie tranken beide, der Fremde aus dem McDonalds-Becher, der Mieter aus der Flasche.
    „Ich heiße Ari!“ sagte der Mieter.
    „Juvénal!“ sagte der Fremde.
    „Sie sind nach einem römischen Dichter benannt?“
    „Ich weiß nicht. Der Name ist sehr häufig bei uns. Ari, ist das auch ein gebräuchlicher Name?“
    „Nein, ziemlich selten. Es heißt eigentlich Ariel.“
    „Nach dem Luftgeist aus Shakespeares ‚Sturm’?“
    „Eher nach dem Erzengel. Meine Mutter wollte unbedingt einen jüdischen Namen für mich, weil mein Vater Jude war. Aber ich benütze den Namen nicht gern.“
    „Weil es ein jüdischer Name ist?“
    „Nein. Weil es ein Waschmittel gibt, das so heißt.“ Der Mieter lachte. Dann wurde er wieder ernst: „Aber was ist dann passiert, nachdem Sie vor den Mai-Mai geflohen sind?“
    „Ich weiß nicht, wie viele Wochen wir durch den Wald gelaufen sind. Wir versuchten, so schnell wie möglich das Gebiet der Minen zu verlassen und in die Wälder zu kommen. Wir glaubten zwar nicht, dass man uns verfolgte. Aber an der nächsten Straßensperre konnte man uns festnehmen und einem Arbeitstrupp zuteilen oder uns einfach erschießen. Wir wussten nicht, wie groß das Gebiet war, das die Mai-Mai kontrollierten. Aber in dem Gebiet irgend einer anderen Miliz wären wir genau so wenig sicher gewesen. Wir wollten nach Goma. Dort war wenigstens die

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