Flusskrebse: Roman (German Edition)
eine Tasse Zucker kaufen oder ein Glas Öl oder eine Zigarette für den Mann.
Elektrotechnik hat mich zwar nicht so interessiert, aber ich wusste, ich muss einen Beruf haben. Wir haben nicht viele Experimente gesehen, das meiste hat uns der Lehrer nur an die Tafel gezeichnet und aufgeschrieben. Wir mussten sehr viel rechnen, da war ich nicht so gut, dafür aber in Französisch. Das beste war der Fußballplatz. Wir konnten mit einem richtigen Ball spielen. Zu Hause im Dorf haben wir uns Bälle aus Bananenblättern und Lianen zusammengeschnürt. Wenn der Ball in Fetzen war, war das Match zu Ende.
Und dann Fernsehen und Video! Im Dorf hatten ein paar Menschen Radios gehabt und ein oder zwei hatten Kassettenrecorder. Da konnten wir manchmal alte Rumba-Aufnahmen aus Kinshasa hören oder Manu Dibangu aus Kamerun. In Bukavu, wenn wir helfen konnten, ein Lastentaxi zu beladen oder sonstwie ein paar Groschen auftreiben konnten, dann gingen wir zu einer Frau, die einen Videorecorder hatte. Sie verlangte einen Dollar dafür, ein Video abzuspielen. Meistens mussten wir warten, bis zehn oder mehr Leute beisammen waren, um die Kosten aufzuteilen, und dann musste man sich einigen, welches Video man anschauen wollte. Aber wenn wir ihre Autobatterie, mit der sie den Videorecorder betrieb, zum Aufladen schleppten, dann durften wir hinterher ein Video gratis ansehen. Wir haben Bruce Lee gesehen und Arnold Schwarzenegger. Damals habe ich das erste Mal von Österreich gehört. Ich wusste, dass das die Heimat von Arnold Schwarzenegger ist. Wir haben auch viel Reggae und HipHop gehört.
Am Anfang war es keine schlechte Zeit in Bukavu. Wir haben uns große Hoffnungen gemacht, dass es unter Kabila besser wird. Einmal hat die Regierung sogar Gehälter für die Lehrer und Beamten ausgezahlt. Viele Länder hatten Kabila unterstützt, besonders Ruanda und Uganda. In seiner Armee waren viele Tutsi und BanyaMulenge: die Generäle, die Offiziere. Aber als Kabila die Macht hatte, wollte er die Ruander loswerden. Jetzt hat er sich mit den Hutu-Milizen verbündet, mit den
Interahamwe
, und alle ruandischen Soldaten ausgewiesen. Und wieder hat es geheißen: Es gibt keine
BanyaMulenge
, wir sind Einwanderer aus Ruanda. Das ist Politik. Jetzt haben sich unsere Militärs im Ostkongo von Kinshasa losgesagt und die Kontrolle über Goma und Bukavu übernommen. Sie nannten sich RCD, Rassemblement Congolais pour la Democratie. Eine Rebellenarmee marschierte auf Kinshasa. Bald haben wir gehört, dass man in Kinshasa Jagd auf die Tutsi machte, die dort lebten. Das Fernsehen zeigte Demonstranten, die ‚Tod den Ruandern’ auf ihre Transparente geschrieben hatten. Kabila sagte im Radio, dass die Leute in den Dörfern sich mit Speeren und Pfeil und Bogen bewaffnen müssten, sonst würden sie Sklaven der Tutsi werden. Die Rebellen vor Kinshasa sind von Truppen aus Simbabwe und Angola geschlagen worden, und in Kinshasa hat man Tutsi bei lebendigem Leib verbrannt. Man hat ihnen Gummireifen über den Körper gezwängt und angezündet. Dann hat man ihre Leichen durch die Straßen gezerrt.
Damals verstand ich schon mehr von Politik. Ich war 14. Es war der Erste Weltkrieg in Afrika. Angola, Namibia und Simbabwe auf der Seite von Kabila; Ruanda, Burundi und Uganda auf der Seite der Rebellen. Kabila hatte praktisch seine ganze Armee verloren, für ihn kämpften Soldaten aus Simbabwe, Hutus aus Burundi und Rebellen aus Uganda. Hatte Kabila sich mit unseren Feinden verbündet, so verbündeten wir uns mit seinen Feinden, den Mobutu-Leuten, gegen die wir früher gekämpft hatten. Verrückt, nicht wahr? Es war eine verwirrende Zeit. Wir hörten, dass irgendwo ein Waffenstillstand ausgehandelt worden war, und gleichzeitig kamen Kabilas Flugzeuge und warfen Bomben auf uns ab.
In der Schule hat es auch Reibereien gegeben. Manchmal haben Schüler zu mir gesagt: ‚Eure BanyaMulenge -Soldaten haben meinem Vater das Vieh gestohlen! Sie sind ins Dorf gekommen und haben gesagt: Seit wann wisst ihr, wie man Rinder züchtet?
Wir
sind die Rinderzüchter,
wir
verstehen was davon!’ Dann hat’s auch Prügeleien gegeben.
Eines Tages ist plötzlich mein Vater angekommen mit meiner Mutter, meiner Schwester und meinen jüngeren Brüdern. Sie haben erzählt, dass das ganze BanyaMulenge -Gebiet eingekesselt war. Auf der einen Seite standen die Milizen der Hutu aus Rwanda, auf der anderen Hutu aus Burundi, auf der dritten die Mai-Mai, die von Kabila unterstützt waren. Überall waren
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