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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wieder verlassen würde.
    »Hier, nimm das«, sagte der Mann, aber er würdigte das Mädchen dabei keines Blickes. Stattdessen schaute er mich an. »Und du kommst mit mir.«
    Ich sah mich sicherheitshalber zu den Seiten um. Colleen, Mildred, er musste eine der beiden meinen, denn ich hatte ihm wirklich keinen Grund gegeben, ausgerechnet mich auszuwählen. Aber er nickte und zeigte mit dem Finger auf mich. »Ja, du – beeil dich, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
    Ich war, gelinde gesagt, überrumpelt. Etwas mehr Bedenkzeit, und ich wäre vielleicht in Panik geraten, aber ich wusste ebenso gut wie alle anderen, wenn die Gelegenheit kam, aus St. Margaret’s rauszukommen, musste man sie beim Schopfe packen, ohne zu zögern, ohne Fragen zu stellen. Der Mann wollte mich mitnehmen – dann war ich die letzte, sich da zu widersetzen.. Ich trat aus der Reihe und blickte fragend und gleichzeitig fordernd Miss Mountford an. Jetzt war es an ihr, zu bestätigen, dass alles seine Ordnung hatte, oder zu widersprechen. Aber eigentlich konnte es ihr nur recht sein, dass Mr. Molyneux mich mitnahm. Eine aufmüpfige Seiltänzerin weniger. Sie sollte sich freuen.
    »Sie muss noch ihre Sachen zusammenpacken«, sagte Miss Mountford, als der Gentleman schon wieder zum Ausgang strebte.
    »Das denke ich nicht«, sagte Mr. Molyneux. »Ich sehe hier kein Ding, das ich gern in meinem Haushalt wüsste.«
    Meinte er meine Kleider? Das konnte ich durchaus nachvollziehen, die würde ich auch nicht in meinem Haus wissen wollen. »Meine Bücher«, sagte ich. Es waren nur drei, und ich kannte sie fast auswendig – meine Bibel; der alte Almanach von 1903, den ich vor einem Ende im Kamin gerettet hatte, und eine sehr zerlesene Ausgabe von Agnes Grey. Ich liebte keines von ihnen so sehr wie die Bücher, die ich heimlich in der Leihbücherei verschlungen hatte, aber es ging mir ums Prinzip.
    Aber der Gentleman schüttelte den Kopf. »Jedes Buch, das dich zu interessieren hat, wirst du in meinem Haus finden. Und nun komm.« Seine eben noch samtige Stimme war jetzt schroff, und sein Gesicht zeigte harte Falten, die vorher nicht da gewesen waren und ihn viel älter wirken ließen. Seine Worte gaben mir zu denken, klangen sie doch wie eine Drohung – aber das mit den Büchern konnte gleichzeitig auch ein Versprechen sein.
    So nickte ich. »Also gut. Ich bin bereit.«
    Draußen regnete es; es regnet immer an solchen Tagen, aber der Fremde musste in einer Kutsche gekommen sein oder einer Droschke – für ein Automobil war er zu altmodisch, trocken und vernünftig. Ich würde schon an einem Stück dort ankommen, wo er mich hinbrachte. Und wenn es mir da nicht gefallen sollte … Es würde schon irgendwo ein Zirkus in der Nähe sein.
    ***
    Als ich dem Gentleman ins Freie folgte, fühlte ich mich seltsam nackt. Und das lag nicht einmal daran, dass ich nichts mit mir führte als die Sachen, die ich am Leib trug, sondern vor allem an der Art, wie er mich aus allem herausgerissen hatte, was ich kannte. Ich hatte den anderen Mädchen nur im Vorbeigehen ein Lebewohl wünschen und in die Runde winken können, statt mich von jeder einzeln zu verabschieden. Gut, ich hätte mich nicht wirklich von jeder einzeln verabschieden wollen, aber so ging es mir doch irgendwie zu schnell.
    Es sollte sich schon jemand finden, der meine Bibel und die beiden anderen Bücher haben wollte, so schnell würden die nicht im Feuer enden, und meine Kleider gehörten mir ja auch nur so lange, wie ich hineinpasste, dann wurden sie an das nächste Mädchen weitergereicht. Sonst lag neben meinem Bett nichts, das sich zu vermissen lohnte. Die anderen Mädchen konnten ihre Lehren daraus ziehen und zusehen, dass sie alles Wertvolle am Leib trugen, wenn adoptionswillige Gentlemen kamen, die mit der Zeit geizten. Es wäre sonst schade um all die Medaillons mit den Locken verstorbener Mütter gewesen, wenn die am Ende in St. Margaret’s hätten zurückbleiben müssen. Aber wer so ein Kleinod besaß, der wusste es ohnehin besser, als es jemals abzulegen. Ich zumindest war nicht so dumm. Irgendwann würde mir das Ding um meinen Hals schon noch seinen Zweck verraten, oder zumindest, wer meine Eltern waren, und wer ich.
    Ein wenig eingeschüchtert war ich schon, als ich Mr. Molyneux stumm über die Straße folgte. Er ging sehr schnell mit seinen langen Beinen: Da es immer noch regnete, konnte ich das gut verstehen. Ich hatte erwartet, dass seine Kutsche vor der Tür stehen würde, doch

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