Flut

beglückwünscht sie zur Verlobung ihrer Tochter. Er verspricht, bald wiederzukommen, um die Kosten für das Hundefutter zu begleichen.
    Es ist früher Abend, als er mit Beta durch das alte Fischerdorf läuft. Am Morgen hat ihn die Krankenschwester rasiert, die Narben im Gesicht sind noch frisch und gut sichtbar. Er geht in den kleinen Supermarkt und kauft sich vom restlichen Geld Brot, Butter, Kaffee, ein paar Bananen und eine Prepaidkarte. Die Menschen stehen am Ende eines sonnigen Tages vor ihren Häusern oder auf den Veranden. Wäsche und Kissen werden von Fensterbänken, Zäunen und Leinen genommen. Es riecht nach Meer, Fischsuppe und frischem Maiskuchen. Dort am Hang liegt die kleine Wohnung, in der er unbedingt wohnen wollte und gewohnt hat. Er öffnet die Fensterläden und bleibt im Dunkeln stehen, bis die Straßenlaterne vor dem Fenster angeht und ihr Licht in die Wohnung wirft. Er hat nicht das Gefühl, nach Hause zu kommen. In diesem Punkt hat sich Jasmim geirrt. Er gehört nicht hierher. Es gibt nur zwei Orte, an die ein Mensch gehören kann. Der eine ist die Familie. Der andere ist die ganze Welt. Manchmal lässt sich schwer sagen, an welchem von beiden man gerade ist.
    Nach einer ganz normal durchschlafenen Nacht wacht er am 30. Oktober 2008 in einer dreckigen, verschimmelten Wohnung auf, ohne Geld und ohne Job, aber auch ohne Ängste. Er ruft die Wäscherin an und bittet sie, die schmutzige Wäsche abzuholen. Dann ruft er Panela an, der ihm erklärt, er sehe im Augenblick leider keine Möglichkeit, ihn wieder einzustellen. Der neue Trainer mache seine Sache gut, und es gebe keinen Grund, ihn zu ersetzen. Mal davon abgesehen, dass es dem Typen gegenüber eine Sauerei wäre. Es sind sogar einige neue Kunden hinzugekommen. Er versichert Panela, das sei völlig in Ordnung, und beglückwünscht ihn zum Erfolg der Schwimmakademie. Danach geht er etwas essen und zieht dann seine letzten Ersparnisse aus dem Geldautomaten. Er ruft Sara an und fragt sie, ob Douglas seine Zähne behandeln würde, auch wenn er ihn erst im nächsten Monat bezahlt, wobei er davon ausgeht, dass sie ihrem Mann nichts von der Sache am Tag des Barbecues erzählt hat. Ein paar Minuten später ruft sie zurück und sagt, dass der Termin steht. Zurück in der Wohnung beginnt er zu putzen. Er wischt gerade den Boden mit Chlorreiniger, als jemand vor seinem Fenster in die Hände klatscht. Ein braungebrannter, muskulöser junger Mann lächelt ihm zu. Er erkennt ihn nicht.
    Tag.
    Tag. Wer bist du?
    Erinnerst du dich nicht an mich, Schiffbrüchiger?
    Er bittet ihn hinein.
    Ich kann dir nur kaltes Wasser anbieten.
    Kein Problem. Ich bin neulich schon mal hier gewesen, um zu sehen, ob du noch lebst, aber die Wohnung war verschlossen. Alles in Ordnung bei dir?
    Ich bin noch etwas schwach. Ich war ein paar Tage im Krankenhaus. Ich hatte eine schlimme Lungenentzündung.
    Weißt du inzwischen, was an dem Tag passiert ist, als ich dich am Strand gefunden habe?
    Ja. Ich bin während des Unwetters bei Pinheira von der Felsküste ins Meer gestürzt und die ganze Nacht lang geschwommen.
    Und dann in Siriú am Strand gelandet? Von Pinheira bis Siriú?
    Sieht so aus. Wahrscheinlich hat mich die Strömung erwischt.
    Beta kommt durch die offene Tür und läuft in die Küche zu ihrer Wasserschüssel.
    Das ist also der Hund, den du dir von dem Typen zurückgeholt hast?
    Das weißt du?
    Jeder weiß das. Man hat mir sogar geraten, nicht mit dir zu reden.
    Warum das denn?
    Ach, keine Ahnung. Was man sich so erzählt.
    Was erzählt man sich denn?
    Der junge Mann hebt die Augenbrauen.
    Egal, vergiss es. Sag mal, wann läuft nochmal dieser Rettungsschwimmerkurs, von dem du erzählt hast?
    Ende November. Dauert drei Wochen. Es gibt einen theoretischen und einen praktischen Teil. Der praktische Teil ist das Problem. Da wirst du richtig durch den Fleischwolf gedreht.
    Und danach bist du die ganze Saison lang Rettungsschwimmer?
    Kurz vor Weihnachten geht’s los und dann mindestens bis Karneval.
    Was verdient man da?
    Die zahlen nicht schlecht. Der Tagessatz liegt bei hundert Reais. Freie Tage eingerechnet machst du mindestens Zweitausend im Monat. Meintest du das ernst, was du letztes Mal gesagt hast? Dass du mir beim Schwimmtraining helfen würdest?
    Klar. Aber ich will den Kurs auch machen. Wo muss man sich da anmelden?
    Bei der Feuerwehr.
    Super. Gib mir noch ein paar Tage, ich bin noch etwas angeschlagen, aber nächste Woche legen wir los. Komm hier morgens um acht