Flut

aus einem Internetporno, den er vor Jahren zigmal gesehen hat, fehlt nur noch die Haube mit dem roten Kreuz drauf. Sie ist blond, hat eine große Nase und swimmingpoolblaue Augen. Sie fragt, ob er weiß, wer er ist und wo er sich befindet. Er denkt kurz nach, weiß es aber nicht. Er ist im Krankenhaus in São José, erklärt ihm Natália. Eine Frau namens Dália habe ihn hergebracht, sie habe sich als eine Freundin vorgestellt und sei dann nach ein paarStunden gegangen. Dieselbe Frau habe am Morgen im Krankenhaus angerufen, um ihnen seinen vollständigen Namen und andere Daten durchzugeben. Er denkt wieder nach. Er kann sich an nichts erinnern, schon gar nicht, in letzter Zeit mit Dália gesprochen zu haben. Natália, Dália, stammelt er. Dália, Natália. Die Krankenschwester lächelt und kneift die Augen zusammen, als versuchte sie einzuschätzen, wie klar er bei Verstand ist. Mit Mühe dreht er den Kopf auf dem weichen Kissen und erblickt Gardinen in Krankenhausgrün und Teile von Bettgestellen. Er selbst steckt in einem rosafarbenen Kokon, der ihn an die Bezüge der Sessel und Sofas im Wohnzimmer seiner Großmutter mütterlicherseits erinnert. Der Hund, fragt er. Was ist mit meinem Hund? Natália fällt ein, dass Dália ihm ausrichten lässt, dem Hund gehe es gut, er müsse sich keine Sorgen machen. Er sei bei ihrer Mutter oder so ähnlich. Eine zweite, sehr dünne Krankenschwester, auf deren Schild der Name Maila steht, kommt herein und freut sich mit Natália über sein Erwachen, als würden die beiden ihn seit Jahren kennen. Er fragt, wie lange er schon dort ist, und die Dünne lächelt und sagt, fast schon einen ganzen Tag. Natália muss nach einem anderen Patienten sehen, und die Dünne läuft los, um den Arzt zu holen. Als er das Gesicht verzieht, spürt er die Nähte und Pflaster. Er friert unterm Kinn und am Hals und schließt daraus, dass er rasiert wurde. In seinem rechten Handrücken steckt eine Kanüle. Im Bett nebenan hört er eine Frau husten. Der Arzt hat eine Glatze und sieht aus wie ein Erstsemester. Er erklärt ihm, dass er am Abend zuvor mit dem Krankenwagen vom Ärztehaus in Garopaba überführt worden sei. Er sei dehydriert, unterkühlt und unterzuckert gewesen. Außerdem habe er eine bakterielle Lungenentzündung, die intravenös mit Antibiotikum behandelt würde. Seine Nase und eine Rippe sind gebrochen, und er hat ein paar Platz- und Schürfwunden im Gesicht. Der Arzt fragt, ob er in letzter Zeit viel Meerwasser geschluckt habe, und er antwortet, Ja, Meerwasser, sehr viel sogar, voretwa vier Tagen. Ganz offensichtlich ist der Arzt in Gedanken bei einem sehr viel ernsteren Fall. Er bespricht sich kurz leise mit Schwester Maila und eilt dann hinaus auf den Flur.
    Am nächsten Tag kommt Dália mit Pablo zu Besuch. Sie bringt ihm seine Wohnungsschlüssel, das Handy samt Ladegerät, ein paar muffig riechende Klamotten, zwei Kreuzworträtselhefte, die neuesten Ausgaben vom Playboy und der Zeitschrift O2 und Schokoladenkuchen in einer Plastikbox. Sie erzählt ihm, sie sei mit im Krankenwagen gefahren und erst gegangen, nachdem der Arzt ihr versichert hatte, dass alles in Ordnung sei. Er sei überhaupt nicht mehr aufgewacht, und sie wusste nicht, was los war, und dachte, er würde sterben. Sie hat noch nie erlebt, dass jemand so hohes Fieber hatte. Beta ist bei ihr zu Hause, ihre Mutter kümmert sich um sie. Sie lässt ihm ausrichten, sie habe das alles in ihren Träumen vorausgesehen und versucht, ihn zu warnen, aber er wollte ja nicht auf sie hören. Dália war morgens bei ihm in der Wohnung, die Tür war abgeschlossen, aber sie sei zu Dona Cecina gegangen und habe ihr die Situation erklärt, woraufhin sie ihr die Schlüssel gegeben habe, damit sie seine Papiere und etwas zum Anziehen für ihn holen konnte. Dona Cecina hatte die Wohnung offenstehend vorgefunden und sie gefragt, ob er Drogenprobleme habe. Am Nachmittag hat sie dann Pablo von der Schule abgeholt und ist mit ihm mit dem Bus nach São José ins Krankenhaus gekommen. Pablito hat ihm sein Nintendo DS mitgebracht. Kann ich das behalten, bis ich hier rauskomme? Du bekommst es in ein paar Tagen wieder. Der Junge hält das Gerät fest und schüttelt den Kopf. Er sagt, er habe nur Spaß gemacht. Er fragt Dália nach ihrem Bauunternehmer, und sie erzählt ihm, dass sie nächsten März heiraten. Anfang Dezember zieht sie mit ihrer Mutter nach Florianópolis. Ich schick dir dann eine Einladung. Prima, sagt er. Ich hab schon immer davon