Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
Vom Netzwerk:
betrachtet er beide Gesichter. Er fährt sich mit der Hand über den Bart, den er sich seit der letzten Begegnung mit seinem Vater wachsen lässt. In der Besteckschublade findet er eine halb verrostete, stumpfe Schere und schneidet damit mühsam das Bild seines Großvaters auf Passgröße zurecht. Den Ausschnitt steckt er in die Plastikhülle in seiner Brieftasche, dort, wo bisher sein eigenes Foto steckte.
----
    1 Er war da. Noch vor mir. Er ist gerade erst weg. Ich hab deinen Bruder noch nie so erlebt, er schien völlig fassungslos. Natürlich hatte er Angst, dich zu treffen. Er blieb eine Ewigkeit neben dem Sarg stehen. […] Natürlich hat er nicht geweint, dein Bruder weint nie, du kennst ihn ja. Er wollte nur wissen, ob ich wüsste, wann du kommst und ob sie mit dir käme. Ich hab gesagt, dass sie nicht mitkäme, aber sie ist nicht das Problem, du bist es, den er nicht sehen will. Er sagte, Mama, ich kann nicht hierbleiben. Ich schlag zu, wenn ich ihn sehe. Und ich hab gesagt, Euer Vater ist tot und liegt dort im Sarg. Benimm dich nicht wie ein Kleinkind, du wirst demnächst dreiunddreißig, tu deinem Vater den Gefallen, er würde wollen, dass ihr euch vertragt, aber dein Bruder hat nur gelacht. […] Ich weiß nicht warum, ich hab es nicht verstanden, aber zwischen deinem Vater und ihm gab es etwas, dass nur sie beide verband, weißt du. Er hatte Beta im Wagen. […] Ich habe keine Ahnung, Dante. […] Ich finde es auch äußerst merkwürdig, aber ich habe Angst, ihn zu fragen. Dein Vater hatte eine Nachricht hinterlassen   …   er hat mir das Haus vermacht und euch ein bisschen Geld. Morgen bekommen wir das Testament zu Gesicht. Mehr besaß er nicht, es ist unglaublich. Er hat alles verprasst. Und bei der ganzen Bürokratie kann das dauern   – […] Nichts. Ach so, da ist noch die private Lebensversicherung, die geht auf euch über. Eine Stange Geld. Zu dem Haus hat er geschrieben, Mach was du willst damit, Sônia, ich weiß sowieso, dass du es verkaufst und unter deinen beiden Prinzen aufteilst. Und das werde ich natürlich auch. Es ist so lange her, dass ich diesen Mann geliebt habe, und wir haben so viel gestritten, dass ich mich nicht mal mehr erinnern kann, wie er war. Dein Bruder war eine Viertelstunde da, er hat mit Onkel Natal gesprochen, mit Golias da vorne   … er ist der einzige von seinen alten Freunden, den ich ertrage. Dann noch mit dieser Frau da, die ich nicht kenne, war das seine Freundin?   […] Hab ich mir doch gedacht. Guck dir das Flittchen an, total geliftet.   […] Mal sehen, wie viele von diesen Schlangen noch hier auftauchen. Verspritzen ihr Gift und behandeln mich wie den letzten Dreck. […] Was?   […] Sonst hat er nichts gemacht. Er kam rein, ging zum Sarg und ist wieder abgehauen. […] Nein, mein Sohn. Das heißt, er meinte, er müsse ein andermal mit mir reden, er wolle umziehen. Raus aus Porto Alegre.   […] Das weiß ich nicht. Er wollte nur weg von hier. Abgesehen von der Minute, die er neben dem Sarg stand, hat er die ganze Zeit zur Tür gesehen, und dann ist er zu mir gekommen und hat gesagt, Ich muss jetzt weg, es ist besser, wenn ich gehe, und er hat mich umarmt und ist los. […] Hab ich doch versucht! Das ist die Beerdigung deines Vaters, habe ich gesagt, sei nicht kindisch, warum machst du es uns so schwer, aber er ist einfach gegangen. Ich glaube, er ist nur meinetwegen gekommen, damit man mir keine Vorwürfe macht. Er blieb gerade mal so lange wie nötig, und dann war er weg, aber was soll’s? Familie war nie unser Ding. Außer bei dir, mein Schatz. Ich hatte noch Zeit, ihm Ronaldo vorzustellen, du wirst ihn auch gleich kennenlernen, er ist nur kurz das Auto umparken, er hatte Angst, einen Strafzettel zu bekommen, wegen der Parkuhr. […] Ich? Ja, ich bin glücklich.   […] Findest du? Ach was, alt bin ich. […] Nur weil ich deine Mutter bin. Kann aber sein, man sieht es einem an, wenn man seinen Frieden mit dem Leben gemacht hat. Das mit deinem Vater ist tragisch, aber das ist alles so lange her. Ich hätte gedacht, er stirbt irgendwann an einem Herzinfarkt oder so, er hat sich ja sein ganzes Leben kaputt gemacht, das weißt du selbst, aber so was … in seinem Alter. Warum macht man das mit vierundsechzig? Und auf so schreckliche Art und Weise, er hätte doch   …   […] Du hast recht, man weiß es nicht. Jetzt ist er nicht mehr da. […] Genau. […] Ich bin vollkommen deiner Meinung, Liebling.   […] Ja, du hast recht. […] Nein, lass

Weitere Kostenlose Bücher