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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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der Tankstelle zum Bauru Tchê und bestellt einen Burger mit Hühnerherzen. Diesmal spricht ihn der Besitzer an und stellt sich vor. Er heißt Renato. An einem der Tische sitzen drei Frauen und trinken Bier, im Fernsehen läuft die Zwanzig-Uhr-Soap.
    Ist der Köter da deiner?, brüllt Renato.
    Das ist meine Hündin. Beta. Sie hat meinem Vater gehört, jetzt gehört sie mir.
    Wollte er sie nicht mehr?
    Er ist gestorben.
    Oh! Tut mir leid.
    Kein Problem.
    Renato fragt, wo er wohnt, scheint sich aber für die Antwort nicht sonderlich zu interessieren, schließlich kommen in die Häuser am Strand sowieso jedes Jahr andere Leute. Sich das zu merken, ist wie übers Wetter zu reden, was er dann auch tut.
    Diese Saison hat es nur geregnet. Und jetzt haben wir März, und es scheint jeden Tag die Sonne und ist völlig windstill. Ich glaub, ich spinne.
    Seine Frau steht mit Schürze und Haube an der Kochplatte und bereitet das Essen zu. In zwei Wochen machen sie dicht. Er sagt, es sei nicht gut gelaufen dieses Jahr, nach Abzug der Miete bleibe kaum etwas übrig. Er gehe zurück nach Cachoeira, da habe er eine feste Bleibe.
    Hallo?
    Das sagt eine der drei Frauen am Nebentisch, die Stimme kommt ihm bekannt vor. Es ist die Größere, die ihn jetzt ansieht. Sie trägt ihr krauses Haar offen, und er hatte es als auf dem Kopf zusammengebunden abgespeichert. Es wäre Quatsch, so zu tun, als hätte er sie jetzt erst gesehen, sie sitzt direkt vor ihm am Nebentisch, und genauso lächerlich wäre es, ihr unter diesen Umständen erklären zu wollen, dass er sie nur an der Stimme oder einem Zusammenspiel mehrererGesten erkennen konnte. Das erzählt er den Leuten immer erst später, wenn er sie schon eine Weile kennt. Anfangs nehmen sie es ihm meistens sowieso nicht ab, und den schlechten Eindruck, den er dabei hinterlässt, kann er selten korrigieren.
    Dália.
    Er spricht ihren Namen vorsichtig aus, fast wie eine Frage. Das ist zwar unpassend, aber in solchen Situationen lässt es sich nicht vermeiden.
    Ich wollte erst nichts sagen, Mann, aber die Art, wie du mich ignorierst, ist so was von dreist, dass ich mich nicht mehr beherrschen konnte.
    Tut mir leid. Ich war mit meinen Gedanken woanders.
    Das bist du offenbar meistens, als ich nämlich gestern am Strand an dir vorbeigegangen bin, war es dasselbe.
    Jetzt könnte er sagen, dass er tatsächlich zerstreut ist, oder nochmal um Entschuldigung bitten, aber beide Alternativen sind unbefriedigend, die erste, weil sie eine Lüge ist, die zweite, weil es ungerecht ist. Bis vor ein paar Jahren bat er die Menschen jedes Mal um Entschuldigung, wenn er sie nicht erkannte, das war ganz normal, aber dann kam es ihm irgendwann lächerlich vor, und er hörte damit auf. Es war nicht seine Schuld. Jetzt sagt er lieber gar nichts und wartet ab, was kommt. Er hat festgestellt, dass die meisten Menschen nicht damit klarkommen, dass man sie nicht erkennt. Es gibt aber auch Leute, die darüber hinwegsehen, die sich nicht ernst genug nehmen, um wirklich beleidigt zu sein, und sich stattdessen einen Spaß draus machen oder ihm vielleicht sogar helfen, sich zu erinnern, indem sie ihm erklären, wo sie sich die letzten Male getroffen haben, obwohl sie gar nichts von seiner Krankheit wissen. Und dann gibt es Leute, die beleidigt sind und das Gespräch beenden und vielleicht nie mehr mit ihm reden oder ihn auch nur beachten.
    Setz dich doch zu uns, sagt Dália.
    Er springt auf und setzt sich auf den freien Stuhl an ihrem Tisch. Der Junge bringt stolz den Burger. Die Mädchen reden, während er isst. Zwischen zwei Bissen versucht er, sich am Gespräch zu beteiligen. Die eine heißt Neide, sie ist sehr dünn und schweigsam. Sie wohnt hier im Ort, hat die Saison über in einem Bikini-Laden gearbeitet und weiß nicht, was sie den Rest des Jahres machen wird. Die andere, Graziela, ist eher rundlich und laut und nur für die Ferien hier. In ein paar Tagen fährt sie zurück nach Porto Alegre, wo sie Jura studiert. Verglichen mit Dália ist keine von beiden attraktiv. Er hatte noch nie das Gefühl, ein weibliches Gesicht bei zwei verschiedenen Gelegenheiten unterschiedlich wahrgenommen zu haben. Eine schöne Frau ist für ihn jedes Mal schön. Für andere ist das nicht selbstverständlich.
    Als sie zahlen, steht ein Dutzend Flaschen auf dem Tisch, und sie laufen in Richtung Strand. Graziela zündet einen Joint an und reicht ihn herum. Der Sand ist abgekühlt, und die Meeresbrise wirkt erfrischend nach diesem heißen

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