Flut
Tag.
März ist der perfekte Monat, sagt Neide.
Unser Monat, sagt Dália. Das Beste kriegen die, die hier wohnen und sich den ganzen Sommer über abgerackert haben.
Was war das für ein Tag , Leute? Graziela zieht die Worte in die Länge. Ich würde am liebsten noch zwei Wochen bleiben. Am besten gleich für immer.
Die Besonderheit des Monats März ist ein fruchtbares Thema, das noch eine Weile ausgekostet wird. Beta hat sich im Sand ausgestreckt, steht aber plötzlich auf und stellt sich schnaufend und mit hängender Zunge vor ihm auf.
Ich glaube, sie hat Hunger.
Mädels, heute ist Party in der Bar do Cachoeira. Gehen wir hin?
Wenn, dann jetzt.
Dália fragt, ob er mit dem Wagen da sei.
Der Gedanke, den Wagen an der Tankstelle abzuholen, gefällt ihm nicht, aber er bejaht. Zuerst muss er den Hund nach Hause bringen.
Hast du schon eine Wohnung gefunden? Wo denn?
Er zeigt nach rechts, ans andere Ende des Strandes.
Da unten vor der Laterne. Die braunen Fenster.
Wir warten hier auf dich, sagt Graziela und zündet sich eine Zigarette an.
Er steht auf, packt Beta am Halsband und sieht zu Dália rüber. Sie lächelt etwas schläfrig, ihre Augen sind halb geschlossen.
Okay. Bin gleich wieder da.
Er macht ein paar Schritte und dreht sich dann um.
Willst du mir nicht Gesellschaft leisten?
Dália steht im selben Augenblick auf.
Doch, klar. Ich muss sowieso auf Toilette. Kann ich?
Graziela und Neide gucken misstrauisch.
Wir sind gleich wieder da, Mädels.
Klar.
Beeilt euch.
Dália hat einen bunten Rock an, der ihr bis zum Knöchel reicht und rhythmisch um ihre langen Beine flattert. Unter dem rotierenden Saum tauchen nur dann und wann die weinrot lackierten Nägel ihrer großen Füße auf, die in rosa Plastiksandalen stecken. Die weiße Spitzenbluse mit den weit ausgeschnittenen Ärmeln betont die schmale Taille über ihrem breiten Becken. Statt der Silberkette trägt sie heute ein Paar spiralförmige Ohrringe aus dünnem Draht, zarte Gebilde, die unter der krausen Mähne hervorgucken. Die Scheinwerfer an der Promenade werfen ihr kräftiges orangefarbenes Licht auf den Sand. Als würden sie nachts durch ein leeres Stadion laufen, in dem ein Rockkonzert vorbereitet wird. Ihre langgestreckten Schatten ziehen durch die ruhige Bucht.
Was guckst du?
Deine Ohrringe.
Sie fasst sie an.
Bist du neulich gut nach Hause gekommen?
Oh Gott, ich war total breit. Ich kann mich an kaum was erinnern. War dann aber kein Problem. Ein Typ hat mich nach Hause gefahren.
Der Idiot mit den wasserstoffblonden Haaren?
Erinnere mich nicht daran. Ich hab mal was mit ihm gehabt, und jetzt glaubt er, er muss nur ankommen und mir irgendwelchen Scheiß erzählen, und schon würde wieder was laufen.
Nächstes Mal lasse ich nicht zu, dass er dich belästigt.
Macho. Das Schlimme ist, dass ich wieder mit dem Idioten mitgegangen bin.
Er hebt die Augenbrauen und sagt nichts.
Warum bist du abgehauen?
Ich hab mir Sorgen um den Wagen gemacht. Außerdem halte ich es auf Partys nie lange aus.
Du hast mich allein gelassen. Du hattest kein Mitleid mit mir. Das war gar nicht nett.
Und du sagst, ich bin gestern am Strand an dir vorbeigelaufen?
Ja, und du hast so getan, als würdest du mich nicht sehen.
Wann?
Nachmittags. Du bist gelaufen. Ich war mit Pablo unterwegs.
Wer ist Pablo?
Mein Sohn.
Ich wusste nicht, dass du einen Sohn hast.
Hab ich dir nicht von ihm erzählt? Mein geliebter Pablito. Doch, hab ich.
Nein. Wie alt ist er?
Sechs.
Ich wusste nicht, dass du ein Kind hast. Aber dann weiß ich auch, woran es gelegen hat. Wenn du allein gewesen wärst, hätte ich dich wahrscheinlich erkannt. An den Haaren.
Du bist echt schräg, Mann.
Die Wasserrinne, die vor den Fischerschuppen ins Meer mündet, ist zu breit, um rüberzuspringen. Ein paar Meter vor der alten Steinbrücke liegt eine Planke quer über der Rinne. Er berührt ihren Arm und deutet darauf.
Ich erkläre dir das jetzt mal, Dália. Aber du musst das ernst nehmen, okay?
Okay.
Lass uns erst mal da rübergehen.
Er geht mit dem Hund vor und reicht Dália die Hand, kurz bevor er auf der anderen Seite ist. Sie hebt den Rock etwas an und nimmt seine Hand. Mit einem Schritt ist sie drüben.
Ich kann mir keine Gesichter merken. Deswegen hab ich dich am Strand nicht erkannt. Und auch vorhin in der Bar nicht.
Das ist keine Entschuldigung dafür, jemanden zu ignorieren, den man erst vor zwei oder drei Tagen kennengelernt hat. Es bedeutet, dass du dich gar nicht für einen
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