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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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deinen Bruder zufrieden. Sonst wird alles nur noch schlimmer. Lass ihn in Ruhe. Er will dich nicht sehen. Wenn nicht heute, dann nie. […] Finde ich auch, aber so ist es nun mal. Ich denke, du leidest mehr darunter als er, Liebling. […] Ja, ich weiß. Aber lass uns jetzt nicht darüber reden, ja? Komm her, lass dir von deiner Mutter einen Kuss geben. […] Der Gottesdienst ist in vier Abschnitte aufgeteilt. Die machen das wirklich gut, die Leute vom Bestattungsinstitut. Müssen wir später aufschreiben. Ah, da kommt Ronaldo. Ich bin so glücklich mit ihm. Du musst uns unbedingt besuchen kommen. […] Genau, in der Nähe der Av. Assis Brasil. So weit weg ist São Paulo auch nicht, das ist doch ein Katzensprung, ihr müsst wirklich öfter kommen. Ja? Komm deine Mutter öfter besuchen. Ronaldo, das ist mein Großer.

3.
    Der Friedhof liegt zwischen zwei Ferienhäusern, dahinter ein verlassenes Grundstück, auf dem smaragdgrünes Gras wächst. Im Hintergrund führt eine Auffahrt den Morro da Silveira hoch, Indiz für eine zukünftige Bebauung. Das Grün der Vegetation scheint in der Sonne regelrecht zu glühen. Die Gräber sind nackte oder mit Kacheln versehene Betonblöcke, meist ohne jede Verzierung. Hier und dort steht eine silberne Engelsstatue oder ein Kreuz. An wenigen Gräbern sind Fotos angebracht, die meisten Blumen sind aus Plastik. Er versucht, sich einen Weg hindurch zu bahnen, aber die Grabsteine stehen zu dicht beieinander, und die wenigen Durchgänge enden dann alle in Sackgassen. Die labyrinthische Anordnung zwingt ihn, über die Gräber zu springen, trotzdem muss er mehr als einmal umkehren und eine andere Richtung einschlagen, und selbst dafür ist kaum Platz. Er versucht es über die Seiten, aber dort stehen die Gräber direkt an der Mauer. Als hätten sie sich im Laufe der Jahre neu angeordnet, um möglichst vielen Toten Platz zu bieten, bis jede freie Lücke gefüllt ist und nur noch Löcher und Furchen übrig sind, wie bei einem schlecht fabrizierten Puzzle. Ganz hinten sieht er die ältesten, zerfallenen Gräber, darunter einige einfache Gedenksteine auf Erdhäufchen, die mit Klee und anderem Unkraut überwuchert sind. Aus der Entfernung scheinen zwei oder drei dieser Tafeln nicht mal eine Inschrift zu haben. Er stolpert über ein Grab aus zusammengestellten Dachziegeln, fällt auf ein anderes und zerschlägt dabei eine Vase mit Plastikblumen. Er sammelt die Blumen ein und versucht, sie so gut es geht auf dem dunklen Marmorimitat zusammenzulegen. Nirgends ist jemand zusehen, kein Totengräber, niemand. Hier wird er nichts finden.
    Hinter den Hügeln von Ambrósio geht schon fast die Sonne unter, in der Bucht ist alles ruhig und in rosa Licht getaucht. Er zieht die Badehose an, kramt im Rucksack nach der Schwimmbrille und steigt die Stufen zum Wasser hinunter. Boote und Möwen treiben regungslos auf dem glänzenden Film. Vorsichtig tritt er zwischen die scharfkantigen Seepocken, springt dann vom Felsen ins Wasser und in sein eigenes Spiegelbild. Während die Füße mit einem Schluckgeräusch verschwinden, breiten sich kreisförmige Wellen aus, bis er kurz vor einem der ankernden Boote hochkommt und mit langen Zügen aufs Meer hinaus schwimmt. Er bewegt sich parallel zum Strand, froh über das kühle und salzige, endlose Nass, ein Gefühl, das nur die einbrechende Dunkelheit schmälert und die Wahrscheinlichkeit, dass sich irgendeine Art von Meeresgetier in seiner Nähe befindet. Es ist fast Abend, als er aus dem Wasser kommt. Er ist erleichtert, und gleichzeitig erschöpft, und er denkt nochmal darüber nach, was ihm beim Schwimmen durch den Kopf gegangen ist. Unter anderem hat er beschlossen, sein Auto zu verkaufen.
    Der abnehmende Mond kommt hinter dem Hügel hervor, als er sich den Stadtplan schnappt und zur Tankstelle fährt. Er spricht mit dem Geschäftsführer und lässt den Fiesta im Tausch gegen eine Kommission von dreihundert Reais neben einem Blumenbeet am Eingang stehen, mit einem Zettel, den er im Internetcafé ausdruckt und in die Windschutzscheibe klebt. Der Marktwert des Wagens liegt bei fünfzehntausend, aber er bietet ihn für vierzehn an. Er kauft eine Dose Guaraná und fragt die Kassiererin, was für Fitnessstudios es in der Stadt gebe. Im Grunde sind es drei. Er zeichnet sie auf dem Stadtplan ein. In der Academia Swell wurde gerade erst ein überdachtes und beheiztes 25-Meter-Becken eröffnet, das erste weit und breit.
    Mit Beta an der Leine läuft er die sechs Straßen von

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