Flut
läuft Arm in Arm mitkrampfadrigen Fesseln im Wasser. Er kennt niemanden, er ist neu hier, aber alle tauschen Blicke mit ihm aus und nicken ihm zu. Eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen spielt Fußball mit Toren aus Flipflops. Es gibt weder Markierungslinien, noch lassen sich die Mannschaften unterscheiden. Alle spielen barfuß, und die Mädchen dribbeln und sind mit erstaunlicher Geschicklichkeit dabei, manche nur im Bikini, das lose Haar vom Wind verstrubbelt, kämpfen sie verschwitzt und ohne Angst vor Körpereinsatz mit einer Energie um den Ball, die an Gewalttätigkeit grenzt.
Bei den Fischerschuppen endet sein Lauf, von dort sieht er Dona Cecinas Wohnung, die cremefarbene Fassade mit den braunen Fensterläden. Er betrachtet die Boote und die Fischer im Halbdunkel ihrer Schuppen. Die Fischer verfolgen ihn mit Blicken und reagieren auf sein Nicken mit sparsamen Gesten. Statt zum Hotel zurückzugehen, steigt er die teils zerbröckelten Stufen am Ende des Strandes hoch und folgt dem Weg an den Steinen entlang bis zur Wohnung. Eine Weile betrachtet er die geschlossenen Fensterläden und setzt sich dann auf eine der Stufen davor. Möwen fliegen auf und lassen sich vom Wind tragen. Ein kleines Motorboot tuckert in die Bucht und geht vor Anker. Ein Ruderboot holt die beiden Besatzungsmitglieder ab. Er steht auf und läuft zu Dona Cecina.
Sie lacht, als sie ihn nach so kurzer Zeit wiedersieht, verschwitzt und zerzaust vom Laufen, das Gesicht mit einer feinen Salzkruste bedeckt.
Und wenn ich alles im Voraus zahle?
Was alles?
Die Miete. Für das ganze Jahr. Die Summe, die ich genannt habe, nur eben alles auf einmal. Noch heute. Ich kann Ihnen einen Barscheck geben.
Sie lacht, hält sich die Hand vor den Mund, wirft einen Blick ins Haus und schüttelt den Kopf.
Ai, ai, ai.
Falls ich verschwinde oder irgendetwas kaputt mache, haben Sie das Geld. Sie brauchen sich also um nichts Sorgen zu machen.
Aber das ist ja verrückt.
Jetzt lachen sie beide.
Ich bin nicht verrückt, Dona Cecina. Ich will unbedingt hier wohnen, und auf diese Weise sind wir beide zufrieden.
Am Abend kommt er mit dem ausgefüllten Scheck zurück. Sie ruft ihren Sohn, diesmal nicht den kleinen, der ihm die Wohnung gezeigt hat, sondern einen anderen, damit er sich den Scheck ansieht, und überreicht ihm dann die Schlüssel.
Am nächsten Morgen parkt er den Fiesta oben vor dem Haus und trägt seine Sachen die schmalen Stufen hinunter. Die ganze Aktion dauert fast bis zum Mittag. Er muss aufpassen, dass er nicht fällt, und nimmt jedes Mal nur ein Stück. Die Einrichtung lässt er so, wie sie ist, er sieht keine Notwendigkeit, Möbel, Geschirr oder irgendetwas anderes anzuschaffen. Er geht in den kleinen Supermarkt im Fischerdorf und kauft Kaffee, Brot, Obst, Joghurt, Honig, Müsli, Schokolade, zwei Pakete Nudeln und ein paar Fertigsoßen. Es ist nicht das erste Mal, dass der Lärm der Wellen ihn im Schlaf begleitet, aber diesmal ist es kein fernes Rauschen, kein Hintergrundgeräusch. Das Meer atmet direkt in sein Ohr. Er hört jede einzelne Welle gegen die Steine schlagen, das Schnaufen der Gischt, das Plätschern. Möwen, jedenfalls glaubt er, dass es Möwen sind, schreien mitten in der Nacht wie brünstige Katzen und tragen offenbar erbitterte Gefechte aus. Noch vor Sonnenaufgang wecken ihn die brummenden Dieselmotoren der Fischerboote. Die Straßenlaterne, die fast direkt vor seinem Fenster steht, wirft gelbes Licht durch die Ritzen der Fensterläden. Die Fischer brüllen sich unverständliche Dinge zu, so laut und aufgeregt, dass es wie besessen klingt, bis ihre Stimmen zusammen mit dem Lärm der Motoren im Rauschen des Meeres untergehen.
Er schläft wieder ein, und als er etwas später aufwacht, hörter Stimmen in eine lebhafte Diskussion verwickelt. Er geht pinkeln, schüttet sich eine Hand voll kaltes Wasser ins Gesicht, öffnet dann die klammen Fensterläden und erblickt ein Boot, das fast direkt vor dem Haus ankert. Mehrere Fischer sitzen oder stehen auf den Steinen und auf den Sandsteinplatten des Gehwegs. Eine Weile sieht er sich die Szene vom Fenster aus an. Der Wind hat sich beruhigt, das Meer ist glatt, aber trüb. Ein schwarzes Kabel kommt hinten aus dem Boot und hängt straff über dem Wasser, bis es sich um den Baum vor seinem Haus wickelt. Einer der Männer sitzt im Boot, ein anderer auf der Treppe, der Rest hat sich um ein Fischernetz auf den Steinen verteilt. Nach und nach nehmen die Fischer Blickkontakt mit ihm auf und
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