Flut
Hündin dir seit ihrer Geburt gehört. Und ich habe den Eindruck, dass ihre Gesellschaft auch dir guttut. Wäre dies der Hund aus deiner Geschichte, würde ich sagen, dass das gebrochene Versprechen nur Gutes bewirkt hat. Insofern ist alles gut so.
Aber es war trotzdem Verrat. Und ich finde nicht, dass man das ignorieren kann. Es spielt keine Rolle, dass der Vater tot ist. Ein Versprechen wurde gebrochen, und das wird immer Teil dieser Geschichte bleiben. Vielleicht wäre es besser, wenn der Hund tot wäre. Der Sohn hätte nicht erfahren, wie das Leben an der Seite des Hundes ausgesehen hätte, aber dafür hätte er dem Vater seinen letzten Wunsch erfüllt. Das ist es, was zählt. Oder etwa nicht?
Bonobo denkt nach.
Tja. Es ist nicht einfach.
Weil es keine Rolle spielt, dass der Vater tot ist und nicht weiß, dass er verraten wurde. Verstehst du? Das ist Verrat. Es lässt sich nicht mehr ändern.
Verstehe. Ich bin zwar nicht deiner Meinung, aber ich verstehe dich. Tut mir leid, ich glaube, ich kann dir nicht helfen.
Bonobo nimmt die Harpune und rollt die Leine auf.
Vor zirka drei Jahren ist hier mal etwas Seltsames passiert. Ein Typ fuhr fast jede Woche mit seinem Sohn zum Tauchen. Einmal waren sie an der Steilküste zwischen Praia da Ferrugem und Praia da Silveira unterwegs, am sogenannten Saco da Cobra. Der Typ tauchte ohne Sauerstoffflasche so tief es ging hinunter und entdeckte irgendwann in einer Felsspalte einen riesigen Zackenbarsch. Das Wasser war vollkommen klar, man konnte mehrere Meter weit sehen. Der Fisch war wirklich riesengroß, solche Dinger sieht man heute gar nicht mehr, und er blickte ihn aus seiner Höhle an und klappte den Kiefer auf und zu. In der Woche darauf ging er an derselben Stelle tauchen und fand den Fisch in derselben Höhle. Er nahm sich vor, ihn beim nächsten Mal mit der Harpune zu fangen, koste es, was es wolle. Von da an konnte er an nichts anderes mehr denken. Wann immer das Meer es zuließ, fuhr er mit seinem Sohn im Boot raus. Aber die Höhle lag sehr tief, und der Zackenbarsch war scheu. Manchmal ließ er sich nicht blicken, und wenn doch, dann zumindest nicht fangen. Kein anderer Taucher hatte den Fisch mit eigenen Augen gesehen, sie kannten ihn nur vom Hörensagen. Einige Wochen darauf fuhr der Mann wieder mit seinem Sohn aufs Meer. Zuerst ging er ohne Ausrüstung runter. Ein paar Minuten später kam er wieder hoch und sagte zu seinem Sohn, er habe den Barsch gefunden. Er schnappte sich die Harpune, ging in voller Montur runter und wurde nicht mehr gesehen.
Bonobo legt den Pfeil in die Harpune und zielt in Richtung Küche.
Als der Sohn merkte, dass etwas nicht stimmte, wollte er nach seinem Vater suchen, kam aber nicht weit genug runter. Also kehrte er zurück und rief die Feuerwehr samt Tauchern. Als sie ihn fanden, hatte sich die Nylonschnur der Harpune um seinen Arm gewickelt und der Pfeil steckte im Schwanz des Fisches. Der Barsch war am Leben, wenn auch schwer verletzt. Der Pfeil hatte ihn ins Rückgrat getroffen. Der Typ hat bis zuletzt versucht, ihn hochzuziehen, und ist dabei ertrunken. Es soll der größte Zackenbarsch gewesen sein, den man je in Garopaba gefangen hat. Er wog über achtzig Kilo.
Wie kommst du jetzt darauf?
Bonobo sitzt noch auf dem Sofa, er dreht sich um und zielt auf einen der Sessel.
Die Geschichte ist wie eine Fabel. Das Leben dieses Typen und das Leben des Fisches waren auf irgendeine Art miteinander verbunden, so wie dein Leben und das dieser Hündin. Man weiß nicht genau, wie, man weiß nicht, welchen Weg sie bis dorthin zurückgelegt haben. Aber so eine Geschichte macht einen doch nachdenklich, oder? Das kann kein Zufall sein. Da steckt eine Reihe von Wiedergeburten dahinter, die die beiden schließlich an diesen Punkt geführt haben.
Unsinn. Redest du von Reinkarnation?
Bonobo schießt auf die Rückenlehne des Sessels, trifft aber daneben, und die Harpune prallt mit einem spitzen Knall gegen die Wand dahinter.
Mann! Sei vorsichtig mit dem Scheißding.
Ich meine nicht Reinkarnation, ich meine Wiedergeburt. Es geht eher um die Übertragung von Bewusstseinszuständen im Laufe der Zeit. Das, was du als dein Bewusstsein verstehst, was im Grunde eine Illusion ist, bleibt nach deinem physischen Tod bestehen und manifestiert sich in einem anderen Wesen. Das sind Zyklen. Das Bewusstsein existiert weiter, es vermischt sich, verbindet sich neu und lebt wieder auf.
Aber mein Bewusstsein ist doch gar nicht meins, tchê . Hast du selbst
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