FO 32 - neue SF 2
und von einer Reise durch Holland, die Blumen , das Wasser .
Thomas M. Disch
Quincunx
»Das beklage ich ja gerade«, sagte Humpty-Dumpty. »Dein Gesicht ist genau wie das der anderen – die beiden Augen so …« (und er zeichnete sie mit seinen beiden Daumen in die Luft) »Nase in der Mitte, Mund darunter. Ist doch immer das gleiche. Wenn du deine beiden Augen zum Beispiel auf der gleichen Seite der Nase hättest, oder den Mund ganz oben – ja, das wäre eine Hilfe.«
Alice hinter den Spiegeln
CHRYSANTHEMEN
Der Mann im Bett hat einen überwältigenden Sinn für Humor. Es ist ein sehr schlichtes Bett. Pinie. Leute haben ihn besucht und haben Blumen dagelassen. Eine chinesische Chrysantheme bedeutet Fröhlichkeit unter widrigen Umständen. Eine rote Chrysantheme bedeutet Ich liebe. Eine weiße Chrysantheme ist die Wahrheit. Pinie steht für Mitleid, aber das Bett ist gar nicht Pinie. Es besteht aus Stahl, Stahl, der weiß angemalt ist, ein Krankenhausbett. Der Mann lag in einem Krankenhausbett. Er war krank. Dies ist eine Geschichte. Sie steht für Chrysanthemen.
Der Mann ist zum zweitenmal hier, im selben Bett, im selben Zimmer, oder zum drittenmal, zum vierten mal. Sind Sie schon mal in einem Krankenhaus gewesen? Sind Sie Krankenschwester? Wie spät ist es? Wie spät haben wir es jetzt? Sieben Uhr. Acht Uhr. Es ist jetzt sieben Uhr. Die Menschen in Krankenhäusern führen ein Leben, das zugleich dramatischer und langweiliger ist als das Leben anderer. Geschichten betonen die dramatischen Aspekte der Existenz.
Zählen Sie fünfzehn Geschichten auf, die in Krankenhausbetten spielen.
Auch in seinem Krankenhausbett bewahrt sich Mr. Candolle seinen überwältigenden Sinn für Humor. Rittersporn ist die Leichtfertigkeit, der Krokus die Fröhlichkeit. Zeit ist die Pappel. Es ist sieben Uhr. Er schaltet seine Nachttischlampe ein. Eine Vase mit Chrysanthemen. Verschiedene Farben. Das Gefühl, daß etwas schön ist. Aussagen über die Art ihrer Schönheit, die Schönheit allgemein. Die Schwester betritt das Zimmer. Mr. Candolle denkt über die Schwester nach. Ich bin zu glücklich. Ich verändere mich erst im Tode. Ich sterbe, wenn ich vernachlässigt werde. Ich habe alles verloren. Ich lebe für dich. Ich liebe. Ich werde morgen sterben. Ich will daran denken. Ich will daran denken. Es gibt Männer – zu denen auch Mr. Candolle gehört – , die allein durch den Anblick einer Frau in einer weißen Uniform erregt werden. Sie ist wie weißer Jasmin, weiße Lilien, Weißpappel, weiße Rosen. Er kann sich kaum vorstellen, daß diese Frau in anderen Zimmern des Krankenhauses Ähnliches tut; das Wechseln der Laken, Ablesen von Thermometern, ihr silbriges Lachen. Sie verschwindet. Mr. Candolle ist allein. Seine Gedanken kriechen auf dem Fußboden herum und suchen Nahrungsbrocken. Die Schatten von Pappeln zucken über das verhangene Fenster, wenn draußen Autos vorbeifahren.
Es ist sieben Uhr.
Seine Hand berührt den Lichtschalter, ein einzelner Finger. Dein Finger ist genauso. Berühre ihn. Sprich mit ihm. Dein silbriges Lachen. Deine Weichheit. Dei ne Allwissenheit. Dein Alleinsein, das dem seinen ähnelt. Sieben Uhr. Das Bett beginnt Witze zu erzählen über die Ärzte und Schwestern, die Besucher, die kleinen Gedanken am Boden, Witze, die wie feuchte Hirse auf die Laken fallen.
»Schwester!« ruft er. »Schwester!«
Es gibt Tausende von Betten, Tausende von Krankenhäusern, Tausende von Chrysanthemen, doch jedes davon hat – da in einen leicht veränderten Zusammenhang gestellt – eine einzigartige Bedeutung. Mr. Candolles Gedanken begannen die Chrysanthemen aufzuessen. Die Schwester sitzt auf der anderen Seite des Zimmers, in den zuckenden Schatten, und strickt, ohne etwas zu merken. Eine rote Jacke für Mr. Candolle. Einen roten Pullover. Eine rote Skihaube. Eine rote Chrysantheme.
Mr. Candolle denkt: Kann die Zeit eine vierte Dimension haben?
Die Schwester denkt: Mr. Candolles Zustand verschlechtert sich.
Die Gedanken denken: Rote Chrysanthemen.
Die Zeit ißt Mr. Candolle auf. Die Zeit ißt die Krankenschwester. Die Zeit ist flach und rund und rot. Die Zeit ist eine Chrysantheme. Sie ist keine vierte Dimension.
Faß mich an. Küß mich.
Sie ist überwältigend schön.
DARSTELLUNGEN
Es wäre wohl zuviel verlangt, Judith, wenn ich erwarten wollte, daß du mich verstehst. Die Eleganz meiner Hand wird dich immer verwirren. Du bist Semele und ich bin Zeus. Laß mich. Geh zu einem anderen
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