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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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seine
     ganze Klasse wusste das.
     
    Herr Müller: Ich mach noch eine Vier minus draus. Geht in Ordnung.
     
    Mahmoud hatte jetzt seinen MSA. Herr Müller hatte sich erbarmt und mir die Entscheidung abgenommen. Wahrscheinlich hätte ich
     mich am Ende, wenn es nötig gewesen wäre, auch so entschieden. Ich hätte es wohl nicht fertiggebracht, meinem Schüler die
     Vier zu versagen und damit die Ausbildung bei der Polizei zu verwehren. Sicher nicht. Trotzdem schade, dass er abging und
     ich ihn im kommenden Jahr nicht mehr sehen würde.
    Raum 103, Montag, 8.33   Uhr, 1.   Stunde, Französisch 10a
    Mahmoud: Herr Serin, warum haben Sie eigentlich so’n guten Körper?
    Ich: Äh??   … Ich?
    Mahmoud: Gehn Sie Fitnessstudio?
    Ich: Wie kommste denn darauf?
    Mahmoud: Ihre Muskeln.
    Ich: Schade, dass du kein Mädchen bist.

|143| 22
«Ich habe Schüler noch nie an meinem Joint ziehen lassen.»
    Unser Hauptseminarleiter hält uns gern an der kurzen Leine. Er will immer darüber im Bilde sein, was wir tun. Darum verlangt
     er von uns zum Ende jedes Halbjahres einen Tätigkeitsbericht. Mit diesem Bogen dokumentieren wir Referendare ihm, was wir
     in den zurückliegenden sechs Monaten im Schuldienst getan haben. Und die Zeit war wieder mal gekommen.
    Schon vor einem Monat hatte mir der Gedanke, dass Herr Schubert meinen Tätigkeitsbericht lesen würde, schlaflose Nächte bereitet.
     Es hatte sich nämlich bereits zu diesem Zeitpunkt angedeutet, dass ich nicht viele Tätigkeiten würde vorweisen können, eigentlich
     gar keine. Ich hatte an keinen Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen, an keinen Klassenfahrten, keinen Exkursionen, keinen
     Wandertagen, keine Projekte organisiert, keine Arbeitsgemeinschaften angeboten, keinen Nachhilfeunterricht erteilt und mich
     auch sonst in keiner Weise hervorgetan. Hätte es nicht noch eine Rubrik für den erteilten Unterricht gegeben, ich hätte diesmal
     sechs leere Seiten abgeben müssen. So würden es aber immerhin noch fünf sein.
    Im Grunde genommen hatte ich mich nur rollenkohärent verhalten. Ich mutete mir schließlich nicht deswegen das Referendariat
     zu, um mich fortzubilden, um auf Exkursionen zu fahren, Projekte zu verwirklichen, um Arbeitsgemeinschaften anzubieten und
     um mich schulisch und gesellschaftlich zu engagieren, sondern weil ich hoffte, im Anschluss eine Stelle als Lehrer zu bekommen.
     Engagieren konnten sich die jungen Leute, redete |144| ich mir in den vielen Momenten ein, in denen ich unter den Belastungen der Ausbildung litt. War ich nicht mittlerweile Ende
     zwanzig und hatte damit langsam ein Recht darauf, etwas kürzer treten zu dürfen? Zumal sich all die vermeintlichen Vorzüge
     des Lehrerberufs als Trugschluss erwiesen hatten. Von den angeblich endlosen Ferien hatte ich bisher noch nicht profitiert,
     sondern diese mit der Konzeption von Unterricht und der Korrektur von Klausuren zugebracht. Auf die mir von meinen Mitmenschen
     geneidete Verbeamtung konnte ich in Berlin ewig warten. Und falls ich nach meinem Referendariat jemals eine Stelle bekommen
     sollte, dann würden meine Schüler, wollten sie, dass ich sie auf Klassenfahrt begleitete, den Spendenhut herumwandern lassen
     müssen, da mein Gehalt geringer wäre als ihr Taschengeld. Diese Erfahrungen und Erkenntnisse hatten mich, neben den Demütigungen
     durch meine Ausbilder, in meiner Überzeugung bestärkt, mir kein Bein auszureißen und als Referendar nur das zu tun, was absolut
     nötig war.
    Wenn es zur Pause klingelte, war ich der Erste, der den Klassenraum verließ. An warmen Tagen bangte ich zusammen mit den Schülern,
     ob uns die Schule hitzefrei gewähren würde. Wurde unser Wunsch erfüllt, stürmte ich jubelnd mit ihnen aus dem Gebäude. Wurde
     er uns verwehrt, schmiedete ich mit den Jugendlichen Rachepläne gegen die Schulleitung. So war ich im Referendariat eigentlich
     meinen beruflichen Ansprüchen nur treu geblieben, dass man fürs Leben arbeitete und nicht umgekehrt.
    Leider legte Herr Schubert jedoch auf Hingabe jenseits der eigentlichen Unterrichtsverpflichtungen großen Wert, wohl weniger,
     weil er mündige, engagierte und kritische Auszubildende schätzte, sondern weil es die gesellschaftspolitische Rolle des Lehrers
     verlangte. André war daraufhin mit auf Klassenfahrt gefahren und kümmerte sich um die Gestaltung der Internetpräsentation
     des Englisch-Fachbereichs. Hannah, eine Kunstreferendarin, war |145| seit kurzem Drogenbeauftragte unserer Schule und seit

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