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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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dass Mahmoud nicht immer einfach ist. Aber es sollte jetzt um seine Noten gehen. Also, Jutta,
     du bleibst bei deiner Fünf?
    Frau Reiz: Ja. Der hat in allen Klassenarbeiten bei mir einen Ausfall. Und mündlich ist er nicht besser. Also, in die Oberstufe gehört
     der nicht.
    Herr Voigt: Nur damit eine Sache klar ist: Bei Mahmoud geht es nicht um die Versetzung in die elfte Klasse, sondern darum, dass er mit
     einem Abschluss die zehnte Klasse besteht.
     
    Für mich wurde die Diskussion nun langsam wirklich rätselhaft. Ich hatte angenommen, Bestehen einer Klasse und Versetzung
     in die nächsthöhere seien das Gleiche. Aber war das jetzt peinlich, wenn ich meine Wissenslücke offenlegte? Durfte ich die
     nach einem Jahr Referendariat noch haben? Mit Sicherheit hätten alle anderen Lehrer überhaupt kein Verständnis für meine Frage.
     
    Herr Richnow: Wie jetzt? Ich dachte, das Bestehen der zehnten Klasse und das Versetzen in die elfte seien das Gleiche?!
    Herr Rauter: Ist doch so, oder?
    Frau Reiz: Nein, Micha! Bei drei Ausfällen und teilweisem Ausgleich |140| wird die Zehnte noch bestanden, aber der Schüler darf nicht in die Oberstufe.
    Herr Rauter: Dit is doch totaler Quatsch! Davon hab ick ja noch gar nichts gehört.
     
    Offenkundig war ich doch nicht der Einzige mit Klärungsbedarf.
     
    Herr Stern : Jutta hat recht. Ein Schüler wird versetzt, wenn er höchstens eine Fünf hat oder zwei Fünfen beziehungsweise eine Fünf und
     eine Sechs, wobei in diesem Fall eine der Fünfen ausgeglichen sein muss. Ab drei Ausfällen, also drei Fünfen, wird auf keinen
     Fall mehr versetzt. Aber mit drei Fünfen kann noch bestanden werden, wenn zwei davon ausgeglichen werden können.
     
    Die Erklärung von Herrn Stern verwirrte mich eher, anstatt mich aufzuklären.
     
    Herr Rauter: Und was macht der Schüler, wenn er nicht in die Oberstufe darf?
    Herr Stern: Er muss, will er in die Elfte, entweder die Zehnte wiederholen oder von der Schule abgehen.
    Herr Rauter: Und was nützt ihm dann die bestandene zehnte Klasse?
    Herr Stern: Er hat den Mittleren Schulabschluss.
    Herr Rauter: Dit ist doch total bekloppt! Wer hat sich denn so was wieder ausgedacht? Die Idioten in der Senatsverwaltung? Entweder man
     besteht oder nicht. Also, ich bin echt froh, dass dieser Müll für mich in zwei Jahren vorbei ist.
    Frau Flach: Also, wenn der eine Fünf weniger hat, dann besteht die Möglichkeit, dass wir ihn im nächsten Jahr los sind?
    Frau Reiz: Das kann ich mir nicht vorstellen. Dazu müsste er ja |141| eine Alternative haben. Lehrstelle oder so was. Wer soll den nehmen? Der wird mit Sicherheit wiederholen.
    Herr Voigt: Mahmoud sagte mir, dass er sich bei der Polizei beworben habe, und die würden ihn nehmen, wenn er den MSA 11 schaffe.
    Frau Flach: Bei der Polizei?
    Frau Reiz: Der ist doch viel zu verhaltensgestört.
    Frau Flach: Die müssen verrückt sein! Ist das jetzt ein Resozialisierungsprogramm für Jugendliche mit krimineller Vorgeschichte? Na ja,
     mir soll es egal sein, solange ich ihn nicht mehr unterrichten muss.
    Herr Voigt: Also, wie sieht es aus? Bleibt es bei den vier Fünfen?
     
    Mahmoud zur Polizei? Genau! Davon hatte er mir erzählt. Vor einer Weile. Mir fiel es jetzt wieder ein. Da hatte ich seine
     Pläne aber noch nicht für voll genommen. Sie schienen sich nun also zu konkretisieren. Und wenn ich die Fünf in Französisch
     in eine Vier umwandelte, dann würden sich seine Chancen auf einen Ausbildungsplatz erhöhen. Aber eigentlich wollte ich gar
     nicht, dass er die Schule verließ. Schließlich war er neben Karol aus der Neunten mein Lieblingsschüler. Und nicht selten
     suchte er in den Hofpausen das Gespräch mit mir, trotz der schlechten Noten, die er regelmäßig von mir erhielt. Er half mir
     auch in unangenehmen Situationen mit anderen Schülern, indem er diese in die Schranken wies, wenn ich dazu nicht imstande
     war. Ich hatte schon fast vergessen, dass er mich zu Beginn des Schuljahres in einem seiner regelmäßigen Wutanfälle bedroht
     hatte. Bloß: War ich deswegen dazu berechtigt, ihm eine mögliche Ausbildung bei der Polizei zu verwehren? Sollte ich nicht
     das Beste für ihn wollen, statt nur daran zu denken, ob ich in der Pause jemanden zum |142| Reden hatte? Aber war es richtig, seine Note heraufzusetzen, um ihm eine eventuelle Ausbildung bei der Polizei zu ermöglichen,
     wenn seine Leistungen eine Vier nicht rechtfertigten? Im Gegenteil: Er stand bei mir auf einer schlechten Fünf. Und

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