Föhn mich nicht zu
einem Monat in der GEW. Christina, auch eine Referendarin mit dem Fach
Geschichte, hatte sich in ein Antinaziprojekt des Fachbereichs PW eingeklinkt und nahm an einer Weiterbildung DaZ 12 teil. Anfangs hatte ich noch gehofft, dass meine Kollegen sich von meiner Lustlosigkeit anstecken lassen würden, zumal sie mir gegenüber immer versichert hatten, wie distanziert sie dem Beruf
gegenüberstanden. Aber schließlich war es allen doch wichtiger, vor unserem Hauptseminarleiter gut dazustehen.
Hatte ich überhaupt noch Aussichten auf eine gute Vornote, wenn in meinem Tätigkeitsbericht die Rubriken, die das eigene Engagement
hervorhoben, leer blieben? Vielleicht, wenn ich den Platz dazu nutzte, um zu erläutern, warum ich nur das getan hatte, wozu
ich verpflichtet war. Bloß mit welcher Erklärung?
Bei uns an der Schule gibt es zwar ein Projekt gegen Nazis, aber da ich als P W-Lehrer zu politischer Neutralität verpflichtet bin und somit Nazis nicht ablehnen darf, habe ich mich dort nicht eingebracht.
Wenn ich keine Lust hatte, mich mit Freunden zu treffen, dann entschuldigte ich mich mit dem Verweis auf meine Freundin, die
mir Zeit mit anderen Menschen verbiete, weil sie fände, dass wir selbst zu wenig miteinander verbrächten. Und das Wenige an
Zweisamkeit war ja immer wieder Anlass für Streit zwischen Melanie und mir. Übertragen auf meinen Tätigkeitsbericht, hätte
ich mithin formulieren können:
Eigentlich wollte ich die 8b mit auf Klassenfahrt begleiten. Meine Freundin hat mir das aber verboten, weil auch Mädchen an
ihr teilgenommen haben und weil sie es doof findet, wenn ich Dinge ohne sie mache. André Groll zum Beispiel ist nur deswegen
mitgefahren, weil er das Privileg hat, mit seiner Freundin in einer offenen Beziehung zu leben. Meine Freundin ist nicht so
tolerant und modern. Somit relativiert sich Andrés
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Teilnahme auch.
Noch eine weitere Verteidigungsstrategie fiel mir ein, den außerunterrichtlichen Einsatz der anderen Referendare abzuwerten:
Hannah Krüger ist nur deswegen in die GEW eingetreten, weil sie sich davon bei Ihnen eine bessere Vornote erhofft. Ich habe
es nicht nötig, andere Leute durch solchen Einsatz zu blenden, weshalb ich gar keinen Einsatz zeige. Das ist immerhin ehrlich.
Und Drogenbeauftragter hätte ich auch werden können. Ich habe genauso oft Drogen genommen wie Hannah. Nur haben mich die Schüler
nicht gewählt, weil ich sie, anders als Hanna, nie an meinem Joint habe ziehen lassen.
Allerdings hätten selbst mich diese Ausreden nicht wohlwollender gestimmt. Da konnte ich Herrn Schubert gleich mitteilen,
dass ich eigentlich nur wegen der Besoldung und der Ferien habe Lehrer werden wollen und in dieser Berufskonzeption für Engagement
kein Platz sei.
Wollte ich also keinen miserablen Eindruck hinterlassen und mir damit eine schlechte Benotung einfangen, musste ich mir etwas
einfallen lassen, mir noch irgendein Pseudoengagement aus den Fingern saugen. Darum bot ich schließlich eine Arbeitsgemeinschaft
zur Französischen Lyrik des 17. Jahrhunderts an. Das wäre kaum mit Arbeit verbunden, dachte ich, überzeugt davon, dass dieses Thema keinen Schüler hinter
dem Ofen hervorlocken würde. Um ganz sicherzugehen, legte ich meine AG auf Freitag neunte Stunde und Montag nullte Stunde.
Ob tatsächlich jemand erschien, um sich beispielsweise mit dem gefälligen Werk eines Hof- und Auftragdichters wie François
Malherbe zu beschäftigen oder mit den endlosen Versen eines Nicolas Boileau zur barocken Pariser Salonkultur, habe ich nicht
erfahren, da ich selbst nie hingegangen bin. Ich habe es aber dennoch in meinen Tätigkeitsbericht eingetragen. Die Bestätigung
von der Schulleitung hatte ich schließlich.
|147| Zu Hause, Mittwoch, 0.21 Uhr, typische Situation
Melanie: Wen rufste denn jetzt noch an?
Ich: Robert aus meinem Geschichtsseminar.
Melanie: Jetzt?!
Ich: Ich hab noch eine Frage zu meinem Stundenentwurf.
Melanie: Es is nach Mitternacht.
Ich: Weiß ich! Aber der macht nie vor zwei Schluss.
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«Der Pole war’s!»
«Ich hab euch doch gesagt, dass ihr keine technischen Geräte mit ins Gerichtsgebäude nehmen dürft. Könnt ihr nicht ein Mal
zuhören?»
Ich wollte mit meiner 9b ins Amtsgericht Tiergarten, und trotz meiner mehrmaligen Ermahnung erschienen elf von fünfundzwanzig
Schülern mit ihren iPods und Fotohandys. Da man uns so nie ins Gericht lassen würde, musste ich eine Lösung finden.
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