Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
Geld
nimmt, legt sich Gründe für sein unethisches Verhalten zurecht und kann so morgens
und abends lustig in den Spiegel schauen. Wilma will, dass ich Francis bespitzle.
Wilma sagte,
»Du gehst auf dieselbe Schule wie Francis Berry. Es ist entsetzlich, das mit seinen
Eltern. Wobei er Gott sei Dank Verwandte hat in England, Manchester, wie ich gehört
habe. Bis zum Abitur kümmert sich seine Patentante hier in Bern um ihn. Du weißt,
dein Vater hatte mit seinem Vater geschäftlich zu tun. Tragisch, ich kannte seine
Mutter vom Club.«
Wie sollte
ich mich nicht erinnern. Wilma untertrieb. Als ich klein war, gehörten Francis’
Eltern zum engeren Freundeskreis hier im Haus. Freunde waren meist ohne Kinder hier.
Francis sah ich ein paar Mal, doch er war drei Jahre älter als ich und ein Junge.
Wilma gab sich fürsorglich, dazu gehörte, als ich kleiner war, die Einladung an
meinem Geburtstag mit Tee für die Mamas und Schokolade und Kuchen für drei gleichaltrige
Mädchen. Die Mamas spielten Bridge.
Der Unfall
von Francis’ Eltern war vor bald zwei Monaten, sein Vater tot, seine Mutter verletzt
und ein irreparabler Pflegefall, geistig weg, das war doch für Wilma ein tragisches
Ereignis. Man war betroffen, man schickte Blumen, nahm an der Beerdigung teil, der
arme Junge würde in einem Jahr sein Abitur machen, ein Glück für ihn, dass er bald
schon erwachsen war.
Ich war
hilflos traurig. Er besucht wie ich das Freie Gymnasium. Ich kannte ihn doch etwas,
früher, und ich wusste, wie es war, seine Mutter zu verlieren. Ich korrigiere mich,
ich wusste nicht, wie es für einen Jungen war, der dazu bald erwachsen wäre. Vielleicht
war der Tod des Vaters für ihn schlimmer, seine Mutter war doch noch da, er konnte
sich verabschieden. Es war niemand da, dem ich ein Gefühl wie diese Traurigkeit
mitteilen konnte. Ich hätte ihm spontan gern eine Blume geschenkt, doch ich traute
mich nicht.
Wilma sagte
es wörtlich so: »Du könntest deine Augen ein bisschen offen halten, schauen, mit
wem er Umgang hat, was er so treibt. Wie ich dich kenne, wird dir etwas auffallen.
Es geht um Pläne, die verschwunden sind, die eigentlich deinem Papa gehören. Sehr
wichtige Pläne. Sein Vater wollte sie noch deinem Papa zurückgeben. Dein Papa hat
mit Francis reden wollen, doch der wusste von nichts. Sein Onkel hat im Architekturbüro
nachgefragt. Dort waren sie nicht zu finden. Sie sollten nicht in die falschen Hände
geraten. Francis’ Onkel hat den Nachlass seines Vaters provisorisch geordnet. In
einem Jahr ist Francis ja volljährig. Dann wird alles entschieden, dann wird auch
das Haus vermietet. Es gibt dafür schon jetzt Interessenten.«
Sie log,
vielleicht war jeder halbe Satz gelogen. Es ist keine gute Idee, mich da hineinzuziehen,
da ich ein selbstständig denkendes Wesen bin. Francis’ Vater, Adrian Berry, war
der Architekt des großen Stadions. Das war bei seinem Tod in allen Zeitungen so
zu lesen. Mein Vater, Jurek Kalla, war der Präsident des Baukonsortiums. Wilma zeigt
eine kriminelle Ader, was mich gar nicht so sehr überrascht. Was an diesen Plänen
kann so wichtig sein?
Ich sagte,
ich werde es mir überlegen.
2
Countdown
Mitternacht – ihm gehörte die
Nacht. Er war der Töter, er erzitterte. Irgendwo in dieser Stadt spürte er eine
andere Kraft, einen Energiepunkt, jemand hätte ihn als Gefahr wahrgenommen, und
sei es im Traumbewusstsein. Noch nicht geortet.
Doch er
war der Panther. Sein Pantherbewusstsein kreiste einem breiten Scheinwerferlicht
gleich über der Stadt, fokussierte zu einem roten tanzenden Punkt, einem Laserpunkt,
der jetzt über die verwinkelten Dächer der Unterstadt huschte, Fassaden abtastete,
über die Pflasterung flitzte, einen Gully erfasste, in ein Kellerloch, eine Laube
fuhr, die nächste Gasse durchzuckte. Er suchte. Es musste in der Altstadt sein.
Was wusste er für sicher über
sich selbst? Er wäre der Typ, den man in einer geistlichen Gesellschaft zum Priester
gemacht hätte. Einer, der ein Ideal brauchte, der ein Ziel brauchte, der eine Autorität
über sich brauchte, jemanden, dem er gehorchen konnte, der sagte, was zu tun war.
Er war einer, der eine schwierige Aufgabe erfüllen wollte, um sich selbst zu genügen.
Einer, der eine Organisation brauchte, einen Halt, im weitesten Sinn ein Zuhause,
seine Koordinaten. Er hatte es weit gebracht hier und jetzt.
Hassliebe. Schaute er in den
Spiegel, war er nach wie vor fasziniert von seinem Äußeren. Das hatte er aus
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