Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
Stimme
eintauschen gegen diesen grässlich harten japanischen Futon. Sie spürte jeden Knochen,
für so etwas war sie nicht gebaut. Sie hatte dem nichts entgegenzusetzen, nichts
gegen den Pulverkaffee, den sie sich angerührt hatte und nichts gegen dieses flache
Pseudowitzeln aus dem zweiten Lokalradio, diesen unterschwellig gemeinen Ton.
Wieder einmal
gestrandet. Das war das Gefühl, das sie überfiel, als sie an diesem Morgen das Haus
verließ. In der Laube stank es durchdringend nach Pisse.
Es regnete,
die Pflastersteine der Gasse glänzten. Natürlich konnte sie unter den Lauben im
Trockenen gehen, doch spätestens vor dem Münster musste sie die Gasse überqueren,
sie würde nass werden. Nach der Bibliothek, sie hatte mit ihren Recherchen zum Buch
über Gartenlabyrinthe begonnen, würde sie am Mittag wegen eines Stabmixers ins Warenhaus
Loeb gehen, dort sei echte Auswahl. Also würde sie auch den Waisenhausplatz und
den Bärenplatz überqueren, und wenn es dann noch immer goss, würde sie klitschnass
werden. Um nicht die Treppen wieder hochsteigen zu müssen, nahm sie vom Kleiderrechen
in der Garage kurzerhand eine der dort hängenden Pelerinen mit. Draußen in der Laube
bemerkte sie am darauf gummierten Clubzeichen des Berner Kanuclubs, dass sie Francis
gehören musste, doch das spielte gewissermaßen keine Rolle, denn dieser war ja schon
weg, benötigte sie also nicht, und eine Pelerine war eine Pelerine.
Ihre Arbeit
in der Bibliothek lief schlecht. Das Buch, das sie bestellt hatte, war noch nicht
da und eine Gruppe von Gebäudeverantwortlichen unterhielt sich sehr laut. Sie wurde
gereizt, beschloss, nach Hause zu gehen und dort an einem anderen Text zu arbeiten.
Ihre Besorgungen verschob sie auf einen trockenen Tag.
Auf dem
Nachhauseweg fühlte sie sich unbehaglich. Sie sah sich mehrmals um. Es war, als
wäre jemand hinter ihr her. Nach dem Zytglogge-Turm lief sie schon fast. Beim Einbiegen
in das Münstergässli, der engen Verbindung von der Gerechtigkeitsgasse zum Münsterplatz,
geriet sie allmählich in Panik, hier war kein Mensch, und auch nachher wären sowieso
kaum mehr Menschen um sie herum. Sie wäre gleich zu Hause, was sollte sie tun, wenn
jemand sie an der Haustür überfiele. In Panik rannte sie über die Pflasterung quer
über den Münsterplatz, ein paar Touristen in Plastikpelerinen und unter Regenschirmen
sahen ihr interessiert nach. Sie stürmte am Münster vorbei, Gott sei Dank, das Tor
zur Plattform stand offen. Bevor sie zu Ende gedacht hatte, bog sie rechtwinklig
in die offene Anlage der Münsterplattform ab. Jetzt lief sie in unregelmäßigem Zickzack
über den großen Platz in Richtung des Lifts, versuchte, von einem Stamm einer der
Platanen zum anderen irgendwie minimal in Deckung zu bleiben, beweglich. Sie schob
ihre jetzt nassen Locken wieder unter die Kapuze, Wasser lief den Hals hinunter.
Ein Mensch in einer Pelerine sah doch aus wie ein anderer, womöglich hatte ihr Verfolger
sie längst aus den Augen verloren, bestimmt hatte sie ihn im Münstergässli abgehängt.
Eine Möglichkeit wäre der Lift, doch was war, wenn er nicht gleich losfuhr? Sie
säße ausgestellt in einem glitzernden Käfig. Das bruchsichere Glas wäre ein Nachteil,
es gäbe kein Entkommen, denn bei diesem Regenwetter waren kaum Passanten in der
Nähe, die ihr helfen könnten. Sie hielt die Kapuze zusammen, schlug einen Haken,
raste zum anderen Ausgang der Plattform, auch dieses Gittertor war offen. Jetzt
stand sie kurz still, wagte einen raschen Blick zurück, überblickte die gesamte
Anlage. Vorn beim Eckpavillon schob ein gelb gekleideter Straßenkehrer eine Handkarre,
ein gebeugter Mann schlurfte die Mauer entlang, sonst war niemand zu sehen. Doch
sie fühlte die Gefahr noch immer. Sie stürmte weiter über das grobe Kopfsteinpflaster,
nein, ihre Gasse konnte sie nicht nehmen, also schlug sie einen weiteren Haken zum
Bubenbergrain, der Stiege ins Matte-Quartier. Sie sprang und hüpfte und schnellte
die unregelmäßigen Stufen hinunter, einmal zwei kurze Stufen aneinander, dann wieder
eine einzelne große, wie es gerade kam. Was, wenn der Verfolger wusste, wo sie wohnte?
Dann nützte alles Rennen nichts, er könnte ihr zu Hause auflauern. Doch das war
eher unwahrscheinlich. Sie hielt inne. Der Lift fuhr an ihr vorbei, leer, zumindest
würde unten niemand auf sie warten. Sie wagte nicht, nach oben zu blicken. Stünde
er an der Balustrade, sähe sie möglicherweise seinen Kopf. Jetzt lief sie die letzte
kurze
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