Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
sich nicht richtig, er hatte weder positive noch
negative Erinnerungen. Als hätte er einen dürren Lebenslauf auswendig gelernt. Doch
die Eltern in Will lebten, er besuchte sie zweimal im Jahr, lud sie zum Essen ein.
Sie freuten sich jedes Mal. Sie akzeptierten, dass sein anspruchsvoller Beruf ihn
ausfüllte. Es gab Momente, da sagte er sich, sie könnten gerade so gut gekaufte
Eltern sein, von einem Dienst dafür bezahlt, seine Eltern zu spielen.
Er wusste
um seine triebhaften Züge, Blutgier, Mordlust, die Lust am Töten. Dazu gehörte auch
sein Verhalten Frauen gegenüber, keinerlei Gefühlsebene. Er benutzte sie. Das alles
wussten ganz sicher jene, die ihn getestet hatten, jene, die über ihn Buch führten.
Doch wenn er sich denn darüber Gedanken machte, dann verächtliche. Menschen, wenn
man sie ließ, wurden unter gegebenen Umständen zu Killermaschinen. Wer das ausschloss,
war schon gedanklich ein Feigling, zum Sklaven geboren.
Was wusste er von seinem Auftrag?
Der Anschlag war sein Auftrag. Er bewunderte die Organisation. Seit Jahren wusste
man, dass die Spiele hier stattfinden würden, hatte das neue Stadion gebaut. Hatte
Jahre darauf hingearbeitet, ihn aufzubauen, auszubilden, in Position zu bringen:
Polizei, innere Sicherheit, den Ort. Er beherrschte seinen Plan, hatte Überblick
und Durchblick. Nichts konnte schiefgehen.
Er hatte
›Läufer‹ im Einsatz, die Organisation hatte sie nach seinen Vorgaben angeworben
und instruiert, zwei dieser vollidiotischen, ideologisch verhetzten, naiven antiwestlichen
Glaubenskämpfer in einem für sie Heiligen Krieg, einen Politischen, einen Gekauften.
Sie würden laufen und fallen.
Jeder Einzelne
würde direkt in seinen Himmel gelangen.
Er hatte
gelernt, auf Unvorhergesehenes gefasst zu sein: aufmerksam zur Kenntnis nehmen,
überblicken, eventuelle Auswirkungen auf den eigenen Kurs beachten. Was war das
heute gewesen?
Im Stadion
war es in einem relativ unwichtigen Vorentscheidungsspiel völlig unerwartet zu wüsten
Gewaltszenen innerhalb einer Fangruppe gekommen. Auffallend war, nicht zwischen
den Gruppen. Er hatte es zufällig zuerst im Lokalfernsehen und gleich darauf auf
DRS verfolgt. Wie der Panther auf seinem Baum hatte er in höchster Konzentration
reglos zugeschaut. Erstens: Es war ›sein‹ Stadion. Die Aufmerksamkeit der Medien
sollte jetzt nicht hier sein. Jedes Bild vom Stadion war jetzt eines zu viel. Zweitens:
Das Ereignis als solches warf Fragen auf: Soweit er es abschätzen konnte, war das
Sicherheitskonzept darauf angelegt, dass genau das nicht passieren konnte. Man hatte
sich Jahr für Jahr den sich steigernden Ausschreitungen der Fans angepasst. Man
hatte auch diesmal die Fans schon im Voraus streng kontrolliert, die Gruppen hermetisch
gegeneinander abgetrennt, zuletzt wieder die Schranken erhöht. Dazu hatte er alle
verfügbaren Informationen gesammelt. Er kannte die Details: jedes Gatter, jeden
Wachmann, jeden Zu- und Abgang, er wusste ganz genau, wer, was, wann, wo zu tun
hatte. Drittens: Was hatte diesen Gewaltausbruch ausgelöst, war Panik im Spiel?
Wie konnte es sein, dass die Sicherungen nicht genügten? Viertens: Zuallererst würden
zusätzliche Kameras installiert werden. Er musste jede noch so geringe Änderung
der Sicherheitsmaßnahmen sofort wissen.
Er überlegte:
Weil der Aufwand infolge der Sparmaßnahmen der Stadt von der Polizei personell nicht
mehr zu verkraften war, hatte man doch diese privaten Sicherheitsfirmen engagiert.
Das war etwas sehr Neues. Er hätte es lieber gehabt, das wäre nicht so gewesen.
Die Polizei, deren Organisation und ihr Verhalten kannte er in- und auswendig, da
war jeder Schritt im Voraus berechenbar. Dagegen waren diese heutigen neuen Ordnungskräfte
vor noch nicht allzu langer Zeit paramilitärische Schlägertrupps gewesen. Ihre Mitglieder
galten heute im engeren Sinn als drogenfrei, doch sie soffen Bier bis zur Bewusstlosigkeit.
Er kannte die Schnittstellen zu ausländischen Rockergangs, die den harten Drogenhandel
betrieben. Das war nicht das Problem, das ihm im Stadion begegnen würde. Misslich
war der Übereifer. Die Mitglieder der privaten Sicherheitsfirmen verhielten sich
wie eine militärische Spezialeinheit im Dschungelkrieg, jeder fühlte sich als American
Hero.
Nein, sie hatte nicht gut geschlafen,
überhaupt nicht. Wie konnte sie ihr weiches Bett im Schlösschen und die selbstverständlichen
Dienstleistungen der Haushälterin, wie konnte sie Roberts wohltemperierte
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