Folge dem weißen Kaninchen
aufhört und der Rest der Welt anfängt und wo sich die eigenen Gliedmaßen im Raum befinden. Dagegen erlangen wir Wissen über den objektiven Körper, indem wir ihn als einen Gegenstand wiegen, messen und im Spiegel betrachten.
Das Fühlen des Körpers und das Wissen über den Körper sind sozusagen zwei Formate, in denen Informationen in unserem Bewusstsein und in unserem Gedächtnis auftauchen. Vom Fühlen kommen wir oft direkt zum Wissen: Wir spüren Druck auf der Schulter und erlangen dadurch die Überzeugung, dass uns jemand auf die Schulter klopft. Umgekehrt kann man durch Vorwissen Erlebnisse besser einordnen, zum Beispiel wenn wir Fahrstuhl fahren. Beschleunigt der Fahrstuhl auf dem Weg nach oben, fühlen wir uns für einen Moment schwerer als sonst. Doch weil wir den Effekt kennen, schließen wir von diesem Gefühl nicht darauf, dass wir plötzlich dicker geworden sind oder die Masse der Erde und damit ihre Schwerkraft zugenommen hat.
Das ist allerdings nicht immer so. Körperwissen und Körperfühlen interagieren in vielerlei Weise. Die Wissenschaften beginnen gerade erst, dieses Zusammenspiel in Ansätzen zu verstehen. Husserl machte allerdings schon deutlich, dass das «Innenbild», das wir vom Körper haben, indem wir ihn erfühlen, ganz anders ist als das «Außenbild», das wir aus dem Spiegel kennen oder dadurch erlangen, dass wir über uns nachdenken. Meistens gehen beide, fast möchte man sagen, Hand in Hand. Doch wie der Gummihandversuch zeigt: Das Außenbild kann dem Innenbild einen Streich spielen.
Wenn Psychologen und Neurologen erklären wollen, warum Fühlen und Wissen manchmal nicht zusammenpassen, beantworten sie die Warum-Frage. Das ist typisch für die Naturwissenschaften. Husserl und den modernen Körperphilosophen liegt vor allem die philosophische Was-Frage am Herzen: Was meinen wir genau, wenn wir vom «Körper» sprechen, den erlebten oder den objektiven?
Ich, mein Körper und all das andere Zeug
Husserl war Begründer der
Phänomenologie
, einer Strömung des frühen 20 . Jahrhunderts, die das Fundament der Philosophie in der Struktur des menschlichen Bewusstseins sah, in der Art und Weise, wie wir die Welt aus unserer jeweils individuellen Perspektive erleben. Husserl glaubte, dass selbst die visuelle Wahrnehmung Körperempfindungen einschließt. Seine Beispiele stammen zwar nicht aus dem Fußball, aber man kann sich das ungefähr so vorstellen: Wenn wir ein Spiel ansehen, dann folgen unsere Augen dem Ball. Husserl zufolge steuern auch unsere Augen- und Kopfbewegungen etwas zur visuellen Wahrnehmung bei, vielleicht sogar unsere Muskeln, die sich anspannen, wenn wir beim Elfmeterschießen mitfiebern. Wir ordnen alles relativ zu unserer eigenen Körperlage im Raum ein: Wir hören Geräusche
hinter
oder
vor
uns, sehen etwas im
rechten
oder
linken
Augenwinkel oder spüren den Regen von
oben
auf uns herabfallen.
Heidegger hat Husserls Ideen weiterentwickelt. Er war Husserls Schüler. Später hat er als Anhänger der Nationalsozialisten verantwortet, dass sein jüdischer Lehrer die Universität nicht mehr betreten durfte. Nach Kriegsende erhielt Heidegger von den Alliierten unter anderem deshalb ein Lehrverbot. Dennoch ist er einer der einflussreichsten Philosophen des letzten Jahrhunderts, vor allem weil er in einem eigentümlichen Vokabular Banales und Absurdes so mischte, dass für viele seiner Anhänger der Eindruck entstand, er habe besonders tiefe Weisheiten entdeckt, beziehungsweise «entborgen», wie er selbst sagen würde.
Als Phänomenologe hat sich Heidegger auch über unsere Wahrnehmung Gedanken gemacht und damit die heutigen Körperphilosophen beeinflusst. Ihm zufolge «entbergen» wir die Welt «zeughaft», denn alles um uns herum ist für uns als Zeug «zuhanden». Wenn man diese Thesen weniger verschwurbelt ausdrückt, kann man die Beobachtung auch so formulieren: Wir sehen Stühle oder Hämmer nicht einfach nur als Objekte aus Holz oder Stahl, sondern wir sehen sie als Dinge, mit denen wir interagieren und die wir für unsere Zwecke benutzen. Wenn wir den Hammer sehen, dann antizipieren wir, wie es ist, damit einen Nagel in die Wand zu schlagen. Heidegger hat seine Idee nicht nur auf Artefakte bezogen, sondern auch auf natürliche Dinge: Der Baum sei ebenfalls «zuhanden», weil wir ihn beispielsweise als Schattenspender «entbergen», sprich, ihm diese Funktion zuordnen. Anders gesagt: Alles ist «zuhanden» und nichts ist einfach nur «vorhanden». Diese These
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