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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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Philosophen darauf antworten mussten.

Hinkt der Wille hinterher?
    Setzen Sie sich einmal entspannt irgendwohin, und tippen Sie mit den Fingern auf den Tisch oder Ihr Knie. Klopfen Sie keinen Rhythmus, sondern konzentrieren Sie sich darauf, Ihren Finger einfach irgendwann zu heben. Achten Sie dabei auf den Moment, in dem Sie den Willensruck spüren, den Finger zu bewegen.
    Genau das hat der amerikanische Hirnforscher Benjamin Libet in einem berühmt gewordenen Experiment von seinen Versuchspersonen verlangt. Mit Hilfe einer speziellen Uhr sollten sie sich dabei merken, wann sie den Willensruck verspürten, den Finger zu bewegen. Libet fand heraus, dass sich im Gehirn ein elektrisches
Bereitschaftspotenzial
etwa eine halbe Sekunde vor diesen aktiven Körperbewegungen aufbaut. Den bewussten Willensruck datierten die Versuchspersonen aber nur auf eine Fünftelsekunde vor der eigentlichen Bewegung, also deutlich nach dem Anstieg des Potenzials. Rückwärts geschaut: Bei 550  Millisekunden vor der Bewegung beginnt das Potenzial, bei 250 kommt der Willensruck, und bei 0 bewegt sich der Finger.
    Libet schloss daraus, dass der Wille immer zu spät komme. Unser Gehirn habe bereits für uns entschieden, den Finger zu bewegen, und das etwa 300  Millisekunden, bevor wir den Willensruck verspüren. Auf den ersten Blick scheint es, als wäre damit die Willensfreiheit wissenschaftlich widerlegt: Noch bevor wir mit dem Finger schnippen können, ist schon festgelegt, dass wir es tun. Uns scheint zwar, als wären wir die Urheber unserer Handlungen, aber das ist eine Illusion.
    Diese These ist so provokant wie abenteuerlich. Man könnte annehmen, dass Libet Hunderten von Versuchspersonen die EEG -Haube zur Hirnstrommessung aufgesetzt hat, um seine Behauptung zu stützen, zumal sie so radikal unserem Selbstverständnis als freien Menschen widerspricht. Tatsächlich testete Libet nur sechs Personen, die allesamt Psychologiestudenten im Hauptstudium waren. Die Daten einer Probandin erwiesen sich als unbrauchbar – da waren es nur noch fünf. Man muss sich das wirklich vor Augen führen: Mit fünf Studenten der eigenen Zunft und mit der Messtechnik der achtziger Jahre wollte Libet bewiesen haben, dass kein Mensch der Menschheitsgeschichte jemals einen freien Willen hatte oder jemals haben wird. Bei allem Respekt für die harte Arbeit der neurologischen Forschung: War das ernst gemeint?
    Schon in den achtziger Jahren wurde das Libet-Experiment in Fachkreisen diskutiert und massiv kritisiert. Auf dunklen Wegen gelangte es vor einigen Jahren ins deutsche Feuilleton, und die Diskussion wiederholte sich, allerdings hatten sich diesmal nur wenige Teilnehmer die Mühe gemacht, das eigentliche Experiment genau anzuschauen. Immerhin hat der englische Psychologe Patrick Haggard mit einem Kollegen die technisch mangelhaften Versuche inzwischen verbessert und kam dabei zu einem ähnlichen Ergebnis. Obwohl Haggard in seinen Folgerungen vorsichtiger ist als Libet, konnte er die grundlegenden Mängel des Versuchs jedoch nicht ausräumen.
     
    Schon die Aufgabe ist paradox formuliert. Die Versuchspersonen sollten spontan handeln, nicht im Voraus planen und typische Bewegungsmuster vermeiden, also beispielsweise nicht im Zweisekundentakt tippen. Doch wenn man ständig überlegt, wie man Muster vermeidet, dann ist man nicht mehr spontan. Und wie plant man im Voraus, nicht im Voraus zu planen?
    Vor allem bleibt völlig unklar, auf was man eigentlich achten soll, wenn man da sitzt und auf die Uhr starrt. Libet spricht von «Entscheidung», «Drang», «Wunsch» und dem «Willen». Das sind aber vier verschiedene geistige Phänomene. Wer mit dem Rauchen aufgehört hat, kann sich dagegen entscheiden, eine Zigarette anzuzünden, auch wenn er spürt, wie der Drang oder der Wunsch mit Macht in ihm aufsteigt. Eine Entscheidung ist eine mentale Handlung, der Drang hingegen etwas, das einem widerfährt. Weder das eine noch das andere ist ein Willensruck. Die natürliche Nachfrage an den Experimentator wäre also gewesen: Was denn nun?
    Aber offenbar hat sich das keine der Versuchspersonen getraut. Ein weiteres Problem: Wir können Vorgänge in unserem Bewusstsein nicht besonders präzise datieren. Viele Studien zeigen, dass man innerhalb eines Zeitfensters von bis zu drei Sekunden Reize vertauschen kann, insbesondere, wenn sich etwas so schnell bewegt wie der kreisende Zeiger im Versuch.
    Der schwerwiegendste Fehler der Experimente liegt aber an anderer Stelle:

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