Folge dem weißen Kaninchen
Abend», dann legt man sich darauf fest: Da waren Spaß, Vergnügen, Genuss. Anders ist es bei: «Das war ein guter Abend.» Damit gibt man auch eine Wertung ab, aber nicht zwingend eine ästhetische. Der Abend kann gut gewesen sein, weil man jemandem geholfen hat, auch wenn es viel Kraft gekostet hat.
Kant ist einer der Vorläufer der modernen
kausalen Theorie
der Schönheit, die sagt: Schön ist, was Genuss verursacht. Seine Grundgedanken dominieren die Ästhetik bis heute. Kant spricht in seiner Abhandlung
Kritik der Urteilskraft
allerdings nicht vom «Genuss», sondern vom «interesselosen Wohlgefallen». «Interesselos», weil ein Objekt nur dann schön ist, wenn es uns unabhängig von unseren Interessen und Neigungen gefällt. Ein Beispiel: Eltern finden die Malerei ihrer Kinder schön. Das ist ganz natürlich. Doch nur wenn sie die Bilder auch dann schön finden, wenn sie nicht wissen, von wem sie stammen, ist ihr Wohlgefallen interesselos. Auch wer sagt: «Die Sonne ist schön, weil sie Leben spendet», hat eine Mittel-Zweck-Beziehung im Sinn. Für echte Schönheit aber darf diese Beziehung gar nicht vorliegen. Daher können wir auch nicht weiter begründen, warum wir etwas schön finden. Sobald wir es tun, ist das Urteil sozusagen nicht mehr rein und unverdorben. Kant glaubte, dass wir nur dann einen Schönheitsgenuss haben, wenn unsere Einbildungskraft und unser Verstand in eine «proportionierte Stimmung» gebracht sind. Zur Frage, wie die schönen Dinge diese wohltemperierte Klaviatur unseres Geistes anschlagen, sagt er allerdings wenig. Verstand und Sinne seien in einem «freien Spiel» – doch nach den exakten Spielregeln sucht man lange, sodass auch Experten heute nicht genau sagen können, was er meinte.
Kant hat richtig gesehen, dass unser Schönheitserleben sprachlich schwer fassbar ist. Selbst wenn wir sagen: «Vincent van Goghs
Schwertlilien
sind schön, weil das Bild so viele Farben hat», können wir nicht erklären, warum wir Farbenfrohes schön finden. Kant hat allerdings die Schönheit wie Sokrates und Platon überintellektualisiert, indem er das höhere ästhetische Vergnügen vom bloß körperlichen abgrenzt. Der pure Hedonismus, das Streben nach bloßer Sinneslust, sei einem vernünftigen Menschen immer zu wenig. Wer also nach einem Besuch im Sternerestaurant mit Champagner am Pool feiert und dann im Rausch eine orgiastische Nacht verbringt, kann niemals den hohen Genuss verspüren, den jemand empfindet, der ein schönes Gedicht liest. Das ist zwar nicht Kants Beispiel, aber ungefähr so muss man sich das vorstellen. Kant zufolge gibt es also zwei Arten von Genuss: den tierischen, rohen, nur körperlichen und den wahrhaft menschlichen, sinnlichen und zugleich geistigen. Nur was den zweiten anspreche, verdiene überhaupt den Namen «Schönheit».
Bis heute fragen Philosophen, was das Schönheitsvergnügen vom normalen Vergnügen unterscheidet. Aber gibt es diesen Unterschied tatsächlich? Schaut man mit einem unvoreingenommenen Blick auf die Schönheit, bietet sich eine einfache Theorie an: Ob ein Mensch etwas schön findet, hängt von zweierlei ab. Erstens von den Eigenschaften des Objekts: Alice erlebt den Garten der Herzkönigin im Wunderland als wunderschön mit seinen Springbrunnen und Blumenbeeten – bei einem grauen und verwüsteten Garten wäre das nicht der Fall. Zweitens von den Eigenschaften des Menschen: Wäre Alice depressiv oder griesgrämig, würde sie den Blumengarten nicht schön finden. Viele Philosophen haben immer nur auf die schönen Dinge geschaut und sich selbst dabei vergessen: den Betrachter.
Jedes Erlebnis verursacht im Betrachter einen Ausschlag auf der Genuss-Skala, von negativ bis positiv. Manchmal ist schwer zu sagen, wo genau sich ein Erlebnis befindet, doch viele Fälle sind ganz klar. Erzeugt etwas in uns Genuss, übertragen wir das Schöne des Erlebnisses auf die Quelle. Manche Dinge wie Klaviersonaten oder Landschaften nennen wir deshalb «schön», weil sie immer dasselbe Erlebnis auslösen, dazu noch in vielen Menschen. Vermutlich hat diese Konstanz die Tradition verleitet, sich auf die Fernsinne zu konzentrieren, also das Sehen und Hören, und dabei die Nahsinne zu vernachlässigen, das Fühlen, Riechen und Schmecken, deren Reizquellen flüchtiger sind.
Unser Genuss hängt von vielen subjektiven Faktoren ab: von unserer Tagesform, unserer individuellen Prägung, unserer Vertrautheit und unseren Erwartungen. Das erste Bier in unserem
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