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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Hübl
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Leben hat furchtbar geschmeckt, das Bier letzte Woche hingegen großartig. Manchmal nervt die Musik, die man gerade noch schön fand. Und unsere Gedanken können unsere Erlebnisse bisweilen überschreiben: Ein schöner Fisch sieht plötzlich ganz anders aus, wenn wir wissen, dass er giftig ist. Und je mehr wir eine Person mögen, desto schöner wird sie. Dabei ist bis heute ungeklärt, ob beispielsweise die Vertrautheit oder die Tagesform unsere ursprünglichen Erlebnisse verändert oder wir einfach Schwierigkeiten haben, genau zu erkennen, was wir eigentlich schön finden.
    Einige Philosophen meinen, dass der Genuss immer gleichzeitig mit einem Erlebnis auftauchen müsse. Doch das stimmt nicht. Nach einem Konzert kann man noch stundenlang berauscht sein, auch wenn die Musik längst verklungen ist. Die Hörphase und die Genussphase müssen nicht deckungsgleich sein.

Ewige Schönheit
    Sobald jemand auf
Facebook
Fotos vom letzten Urlaub in Südostasien veröffentlicht, direkt hochgeladen vom iPhone, sichtbar für alle Kontakte, Fotos, auf denen sich die Palmen unter der Last der Kokosnüsse biegen und das Meer so türkis ist, wie es nur das Meer sein kann, dann kann man sicher sein, dass schon bald Smileys, Sehnsuchtsseufzer, gespielter Neid und ungebeugte Wortstämme wie «träum» oder «schmacht» folgen werden. Vor allem sieht man zahllose «schön»s mit zahllosen «ö»s. Obwohl jeder von uns Bilder dieser Art schon hundertfach gesehen hat, übersaturiert und nachgepixelt, in der Werbung und auf Postkarten, obwohl es kaum ein größeres Klischee gibt als den leeren weißen Traumstrand, so scheint ihn doch jeder bedingungslos schön zu finden. Der Traumstrand ist ein guter Kandidat für etwas, das alle Menschen zu allen Zeiten als schön ansehen. Weitere Favoriten sind Sonnenuntergänge, der Sternenhimmel, Mozarts
Kleine Nachtmusik
, Nofretete, Schokolade und George Clooney. Bei Schokolade streitet man sich höchstens über den Kakaogehalt.
    Auch in der Erforschung ewiger Schönheit ist Kants Einfluss auf die Tradition unverkennbar. Kant nahm an, dass in der Schönheit etwas Allgemeingültiges liege. Dafür müssen die sinnliche Vorstellung und der Verstand in einer Harmonie sein. Er argumentiert dafür, dass schön das ist, was «ohne Begriff allgemein gefällt». «Ohne Begriff», weil Schönes nicht fassbar oder weiter erklärbar ist. «Allgemein», weil derjenige, der etwas «schön» nennt, eine Zustimmung bei allen anderen «ansinnt». Das bloß sinnlich Angenehme ist allerdings nicht das Schöne, denn es muss mit dem Denken verbunden sein. Damit wendet sich Kant gegen den englischen Empiristen David Hume, der die Quelle universeller Schönheit allein in unserer Wahrnehmung verortete. Kants Überlegungen bleiben aber an den wichtigen Stellen unbestimmt. Er gibt zwar einige konkrete Beispiele wie Rosen, das Zwitschern der Vögel oder den Urwald der Insel Sumatra im Gegensatz zum künstlich angelegten Pfeffergarten. Kant sagt aber nicht, was sie gemeinsam haben, um Wohlgefallen auszulösen, und schon gar nicht, warum alle Menschen davon angetan sein sollen.
    Sein Zeitgenosse Edmund Burke war da weniger zimperlich. Seiner Meinung nach sind Dinge schön, wenn sie hell, klein, durchsichtig oder glatt sind. Als Beispiele nennt er Edelsteine, Tauben und Frauen mit glattem Haar und makelloser Haut. Es ist offensichtlich, dass diese Liste viel über Burkes eigene Vorlieben und die seiner Zeit verrät. Besonders irritierend ist, dass er Frauen und Tiere immer in einem Atemzug nennt. Verallgemeinerungen für die Menschheit lassen sich aus diesen privaten Idealen jedenfalls nicht ableiten.
    Mehr noch: Gerade Mode, Geschmack und Partnerwahl scheinen die Universalität in Frage zu stellen. Ein Beispiel: «CafeLatte_ 82 » lebt in Berlin Mitte, trägt Röhrenjeans, hört tagsüber die Band
The Smiths
und mitternachts minimalen Elektro. Er mag schwierige Beziehungen mit Studentinnen in quietschbunten Strumpfhosen, die später in den Medien arbeiten wollen. «Camus-Katze 25 », tierlieb, NR , lebt in Köln. Sie hört Klassik und steht auf den dunklen Typen, humorvoll, bodenständig, den echten Mann, mit dem sie zusammen gegen den Rest der Welt kämpfen kann. Beide werden wohl niemals zusammenfinden. Ihr Geschmack ist einfach zu verschieden. Bei Kleidung, Musik und Lifestyle unterscheiden wir uns nicht nur stark untereinander, wir ändern auch einige unserer Vorlieben mit jeder Saison.
     
    Der Fehler von Burke und anderen

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