Folge dem weißen Kaninchen
Nicht-Wagnerianer von den Klängen von
Gladiator
mehr beeindruckt sind, trotz ihrer aufrichtigen Überzeugung, dass Wagners Musik schöner ist. Fänden sie das heraus, würden sie es natürlich niemals zugeben, denn Mitglieder der Oberschicht definieren ihre soziale Rolle anhand der feinen Unterschiede: Wagnerianer gehören dazu, Gladiatorianer nicht. Als Mittel der Abgrenzung ist Musik so gut geeignet, dass sich einige in ihrem Wunsch nach Exklusivität mit ihren Geschmacksurteilen selbst überlisten.
Diese Unstimmigkeit zwischen Empfinden und Urteilen wie im Pepsi- und Wagner-Fall nennt man
kognitive Dissonanz
. Wir können unsere schönen und angenehmen Erlebnisse aus vielen Gründen falsch einschätzen: weil wir uns selbst beschummeln, weil eine bestimmte Antwort erwartet wird oder weil wir uns angewöhnt haben, so zu reden. Umso gewissenhafter muss man sich also auf die eigenen Erlebnisse einlassen.
Wir bewerten unsere Erlebnisse mit jedem Urteil, das wir abgeben, ob wir es wollen oder nicht. Manchmal haben viele Menschen denselben Wertmaßstab: Wer fand Barack Obamas Berlin-Rede nicht beeindruckend? Oft ist der Maßstab allerdings sehr individuell. In jedem Fall drücken wir mit einem Urteil eine Beziehung zwischen Mensch und Objekt aus: Gertrude findet die Rose schön – und nicht etwa hässlich oder gewöhnlich.
Viele Philosophen haben versucht, die Schönheit zu objektivieren, indem sie nach Prinzipien suchten, die ganz unabhängig vom individuellen Menschen bestehen sollten. Es scheint jedoch offensichtlich zu sein, dass Urteile über das Schöne, anders als Urteile über Gerechtigkeit oder das Gute, davon abhängen, wie wir Menschen die Welt subjektiv erfahren. Die traditionelle Ästhetik hat sich außerdem auf die Dinge konzentriert, die wir typischerweise «schön» nennen, also das, was man sehen und hören kann: Gemälde, Statuen, Lieder, Symphonien und die Natur. Was wir riechen, schmecken und fühlen, nennen wir seltener «schön». Dennoch ist es nicht abwegig, von einem «schönen Duft» oder einer «schönen Massage» zu sprechen. Aus moderner Sicht scheint klar zu sein, dass wir in allen Fällen mit dem Wort «schön» stillschweigend unterstellen, dass in uns etwas passiert. Schöne Dinge lösen ein Schönheitsempfinden aus und hässliche ein Hässlichkeitsempfinden. Darauf gründen wir unsere Urteile. Aber worin genau besteht dieses Empfinden? Und was haben alle Dinge gemeinsam, die wir für schön halten?
Purer Genuss
Sokrates nahm an, dass unser Schönheitssinn in einer Art erotischer Lust bestünde. Der Gedanke ist nicht ganz abwegig, immerhin sagen einige, Schokolade sei manchmal besser als Sex. Doch wenn wir einen Sonnenuntergang schön finden, müssen wir nicht gleich in Ekstase geraten. Unsere Lust erleben wir oft als etwas Positives. Das heißt aber noch nicht, dass sie deshalb die Schönheit erklären kann. Bei unserer Lust und unseren Höhepunkten kann man außerdem wiederum fragen, ob sie schön sind. Schon deshalb können sie unseren Sinn für Schönes nicht verständlicher machen. Der ist umfassender, daher muss die Erklärung anderswo liegen.
Man kann die These retten, indem man «Eros» wohlwollend als «Genuss» oder «Vergnügen» übersetzt. Dann trifft man unser Schönheitsempfinden schon eher: Wir erleben etwas als schön, wenn es in uns ebendiese positive Empfindung hervorruft, die wir als «Genuss» oder «Vergnügen» beschreiben. In alter Zeit sprach man von «Wohlgefallen». Da der Genuss stärker oder schwächer ausgeprägt sein kann, benutzen wir auch andere Wörter: «Spaß», «Freude», «Begeisterung», «Glücksgefühl», manchmal auch altertümlich «Wonne», oder gesteigert «Verzückung».
Die philosophische Ästhetik muss die verschiedenen Nuancen all dieser Begriffe erläutern. Wichtig ist aber zunächst nur, dass alle einen gemeinsamen Kern haben: eine positive Empfindung im Bewusstsein, die ich der Einfachheit halber «Genuss» nennen will. Es kommt, wie gesagt, nicht auf die Wörter an, mit denen wir den Genuss beschreiben: Das Lammkarree schmeckt «köstlich», Chopins Walzer klingen «bezaubernd», und Marianne Brandts Teekanne ist «elegant». Wer so urteilt, der legt sich darauf fest, dass in ihm die positive Empfindung des Genusses verursacht wurde, als er die entsprechenden Objekte schmeckte, hörte, sah oder über sie nachdachte. Das Wort «schön» deutet diese Erlebniskomponente ganz direkt an. Wenn man sagt: «Das war ein schöner
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