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Fool on the Hill

Fool on the Hill

Titel: Fool on the Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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war groß, doch es war für ihn nicht schwer zu erraten, wohin er sich wenden mußte. Er betrat den Friedhof von der Talseite her, kletterte zwischen hoch aufragenden Mausoleen einen Abhang hinauf. Sein Ziel war das Nordende des Ackers.
    Der Wind wehte ihm in den Rücken, während er unter den Bäumen entlanglief, ein kalter, unfreundlicher Wind. George schritt so rasch wie möglich aus und erreichte bald das Gebiet, wo sich das Hauptkontingent von Rasferrets Armee auf einen Marsch auf den Hügel vorbereitete, der noch vor dem Morgengrauen beginnen sollte. George passierte Harold Lazarus’ dämonenverzierten Grabstein, ohne ihn zu bemerken. Der Wasserspeier sah ihn vorbeigehen - und ebenso die Kompanie von Ratten, die sich am Fuß des Steins zusammendrängte. Während der Geschichtenerzähler eine weitere Steigung erklomm, begann sich ein Kordon hinter ihm zu schließen.
    Er stand auf dem Gipfel eines Grabhügels, über den Knochen von Ithacas Kriegstoten. Der Mond umgab ihn mit einem Lichtkreis und den Hügel mit Schatten. Aus diesem Schatten kam das erste Geräusch, ein Rascheln von welkem Laub, als näherten sich kleine Tiere. Das zweite Geräusch, ein leises Schwirren, war schwerer zu identifizieren.
    Er stieg gerade auf der anderen Seite des Grabhügels wieder hinunter, als ihn der erste winzige Armbrustbolzen traf. George spürte einen Stich am Fußknöchel, bückte sich und zog einen scharfen Knochensplitter aus dem Hosenaufschlag. Weitere Geschosse kamen angeflogen, manche aus Knochen, manche aus Metall. Ein plötzlicher Schmerz in den Waden ließ ihn herumfahren; er stolperte über seine eigenen Füße, fiel und landete in einem seichten Graben.
    Ein Gewimmel von kleinen dunklen Gestalten ergoß sich über die Flanke des Grabhügels, direkt auf ihn zu. Das einzige, woran der Geschichtenerzähler denken konnte, war Gulliver bei den Liliputanern. Hastig krabbelte er rückwärts die Böschung hinauf und tastete nach einer Waffe. Eine Hand bekam einen Stein zu fassen, er schleuderte ihn und streckte zwei Angreifer nieder.
    Die Ratten griffen erneut an. Georges Brust verwandelte sich in ein Nadelkissen; nur das Glück bewahrte ihn vor einem tieferen Stich oder dem Verlust eines Auges. Er zog sich weiter zurück und riß sich die Miniaturbolzen, die wieder auf ihn einhagelten, aus Körper und Kleidung.
    Mit einem Mal spürte er etwas Kaltes und Hartes unter sich. Er packte es mit beiden Händen: eine Eisenstange mit einem kurzen Querstück an einem Ende, die jemand im Gras hatte liegenlassen. Er schwang sie wie einen langstieligen Hammer und fegte damit so durch die Reihen der anrückenden Feinde (er konnte noch immer nicht klar erkennen, um was es sich dabei eigentlich handelte), daß sie wie Krocketkugeln links und rechts durch die Gegend sausten.
    Jetzt flogen keine Armbrustbolzen mehr; jetzt hagelte es Ratten. Plötzlich im Hintertreffen, gerieten sie in Panik und stoben nach allen Seiten auseinander, und George ließ sie mit einem letzten Hammerstreich ziehen. »Schickt nächstesmal jemand Größeres!« rief er ihnen hinterher, und erst im nachhinein kam ihm zu Bewußtsein, daß er das vielleicht besser nicht gesagt hätte.
    Aus einem Dutzend nadelstichgroßer Wunden blutend, stand der Geschichtenerzähler auf und setzte sich wieder in Marsch. Als er den Nordrand des Ackers erreicht hatte, bereitete es ihm keinerlei Schwierigkeiten, Kalliopes Geschenk zu finden: Der Mond führte ihn geradewegs darauf zu. Die Steinplatte der pandora war zwar verschwunden, doch die Lanzenspitze, die Kalliope auf ihrem Weg aus der Stadt in den Stamm einer Eiche gerammt hatte, war noch an ihrem Platz. Der Teil der Spitze, der frei aus der Borke ragte, schimmerte wie ein Leuchtfeuer.
    George griff danach und versuchte, sie herauszuziehen, mit dem Erfolg, daß er sich seinen Finger aufschlitzte. Die Klinge wollte etwas schneiden, aber die Eiche ließ nicht locker. George hatte eine andere Idee. Er hob die Eisenstange und steckte sie in die quadratische Tülle der Lanzenspitze.
    Sie paßte wie angegossen.
    »Okay«, sagte George. »Okay, ich glaube, ich verstehe.«
    »Du verstehst?« sagte eine kichernde Stimme hinter ihm. »Du sagst es so, daß man meinen könnte, du wüßtest wirklich Bescheid. Aber andererseits habe ich dich ja auch nicht wegen deiner Bescheidenheit ausgesucht; das ist keine typische Geschichtenerzählertugend .«
    George drehte sich um, riß dabei unwillkürlich an der Eisenstange, die jetzt eine Lanze geworden

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