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Fool on the Hill

Fool on the Hill

Titel: Fool on the Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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war, und zog die Spitze mühelos aus dem Eichenstamm. Die Inschrift wurde sichtbar: fractor draconis.
    »Wer sind Sie?«
    Mr. Sunshine lächelte. Er saß auf einem plumpen Grabstein; seine Füße steckten in Sandalen und waren übereinandergeschlagen, auf seinem Kopf raschelte ein Lorbeerkranz im Wind.
    »Jemand sehr Altes bin ich«, sagte Mr. Sunshine. »Und ein Geschichtenerzähler. Das hattest du ja schon ganz richtig erraten.«
    »Sie haben mich in ein Märchen gesteckt«, erwiderte George. »Darauf läuft’s doch letzten Endes hinaus, oder? Ein Märchen, das Wirklichkeit wird ?«
    »Ziemlich nah dran. Allerdings bedurfte es nicht allzu vieler Einmischungen, um dich in die Geschichte einzupassen. Du bist für mich ein wahrhaft glücklicher Zufall, George - hätte ich früher schon mal über Ithaca geschrieben, müßte ich mich fragen, ob nicht die Affen bei dir ihre Hand im Spiel hatten. Deine ersten zwei Initialen sind fast zu schön, um wahr zu sein.«
    »St. George«, sagte der Geschichtenerzähler und nickte. Ein weiteres Teil des Puzzles fügte sich ein. »Und morgen findet die Drachenparade statt.«
    »Da habe ich zugegebenermaßen ein bißchen mehr mitgemischt«, räumte der Geschichtenerzähler ein.
    »Die Prinzessin ist also eingeschlafen«, fuhr George fort, »als nächstes erwacht morgen der Drache zum Leben, und ich töte ihn, um sie und die Stadt zu retten, und -« Er hielt inne, denn Mr. Sunshine hatte plötzlich angefangen zu lachen; ein Gelächter, das ihm irgendwie bekannt vorkam.
    »Ich töte ihn«, wiederholte der Geschichtenerzähler amüsiert. »Ich! Ich! Wir schreiben hier nicht ›Romeo und Julia‹ neu, George. Das ist meine Geschichte, und es steht nirgendwo geschrieben, daß du unbedingt überleben mußt oder daß dir ein langes und glückliches Leben mit dieser Frau beschieden ist. Ich habe eine Schwäche für Tragödien, schließlich bin ich Grieche.«
    »Aber Ihr Märchen handelt von einem Heiligen, und dann ist da noch eine gute Portion Grimm drin, was ist also daran griechisch?«
    »Meine Geschichte«, beharrte der Geschichtenerzähler, »handelt von einem Narren auf einem Hügel, einem Narren, der den Wind in seine Gewalt gebracht hat, einem Narren, der seinem Onkel widerspruchslos abgenommen hat, Künstler seien - Götter ausgenommen - die einzigen Wesen, die imstande sind, Unsterblichkeit zu verleihen. Was eine ziemlich gefährliche Einstellung ist, gleichgültig, ob du nun griechischer Heide, Christ oder Jude bist.«
    »Aber wenn Sie ein geschichtenerzählender Heide sind«, konterte George, »dann ist das doch die einzig mögliche Einstellung.«
    Mehr Gelächter. »Jammerschade, daß du nicht wirklich unsterblich bist, George - ich habe das Gefühl, daß wir gute Freunde geworden wären. Der gleiche Stolz, der gleiche unerschütterliche Wille, bis zum Ende durchzuhalten, niemals eine Niederlage einzugestehen. Wer weiß, vielleicht kann der Narr, der sich Hals über Kopf in die Sache stürzt, wirklich die Situation retten«, er hob eine Augenbraue, »oder zumindest eines wirklich interessanten, erzählenswerten Todes sterben.«
    »Versprechen Sie mir«, bedrängte ihn George, »versprechen Sie mir, daß Aurora überlebt, wenn ich siege.«
    »Dir etwas versprechen? Also bitte, ich -«
    »Das ist ein guter Schluß, verdammt! Sparen Sie sich Ihre verdammten Tragödien für einen Masochisten auf, der auf so was abfährt, aber lassen Sie mich aus dem Spiel!«
    »Geduld, George. Der Schluß ist bis jetzt noch gar nicht geschrieben. Aber an deiner Stelle würde ich mir den Kopf eher wegen des Drachen als wegen der Dame zerbrechen.«
    »Ich werde siegen«, beharrte George. »Ich werde siegen, ob’s Ihnen nun paßt oder nicht. Aber wenn ich siege, kommt Aurora durch, okay? Abgemacht?«
    »Geh nach Haus und schlaf ein bißchen«, sagte das griechische Original. »Morgen werde ich dich rufen, wenn es Zeit ist, und dann werden wir das letzte Kapitel gemeinsam schreiben.«
    »Warten Sie -«, George streckte die Hand aus, um ihn zurückzuhalten oder ihn mit der Lanze zu durchbohren - aber es spielte keine Rolle, denn mit einem Mal flackerte Mr. Sunshine wie ein projiziertes Bild, verblaßte und war weg.
    »Nein, nein, nein!« George schwang die Klinge kreuz und quer durch die Luft, als versuchte er, sie zu verletzen. »Kommen Sie zurück! Kommen Sie zurück!«
    Narr oder Heiliger, er bekam keine Antwort, nicht einmal ein spöttisches Gelächter, und nichts rührte sich mehr auf dem

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