Fool: Roman (German Edition)
welchen Geschlechts sie war, indem sie ihren Rock lüpfte. »Der Bursche hat in letzter Zeit genug gelitten.«
»Etwas Süppchen?«, sagte die Vettel Sage, die Warzige. Über dem Feuer hing ein kleiner Topf.
»Ich habe gesehen, was ihr in das Süppchen getan habt.«
»Süppchen, Süppchen,
Beinah blau« , sagte die große Hexe, Parsley.
»Ja, bitte«, sagte Drool.
»Das ist kein Süppchen«, sagte ich. »Sie reden nur so, weil es sich reimt, aber das ist kein Süppchen.«
»Doch, es ist ein Süppchen«, sagte Rosemary. »Rindfleisch und Möhren und so Zeug.«
»Stimmt leider«, sagte Sage.
»Keine Fledermausflügel, Lustmolchaugen, Bauchspeicheldrüsen von Schwanzlurchen und so?«
»Ein paar Zwiebeln«, sagte Parsley.
»Mehr nicht? Keine Zauberkräfte? Keine Geister? Kein Fluch? Ihr taucht hier auf, mitten in der Walachei – nein, am ausgeleierten Saum der Unterhose, die im Arsch der Walachei klemmt -, und habt nichts Besseres zu tun, als den Deppen und mich durchzufüttern und uns Gelegenheit zu geben, uns kurz aufzuwärmen?«
»Aye, so ungefähr«, sagte Rosemary.
»Warum?«
»Uns fiel nichts ein, was sich auf Zwiebeln reimt«, sagte Sage.
»Aye, was die Zauberei anging, waren wir ganz schön gearscht, als die Zwiebeln drin waren«, sagte Parsley.
»Offen gestanden wussten wir nach Bregen nicht mehr weiter, stimmt’s?«, sagte Rosemary.
»Ja, da blieb nur Regen «, überlegte Sage und blickte mit ihrem einen Auge zur Decke. »Und Mägen , obwohl das streng genommen kein richtiger Reim ist.«
»Genau«, sagte Parsley. »Man weiß nie, was für einen zwielichtigen Geist man ruft, wenn man so einen Reim zusammenzimmert. Regen. Mägen. Ist doch peinlich.«
»Süppchen, bitte«, sagte Drool.
Ich ließ zu, dass uns die Hexen bekochten. Das Süppchen war heiß und schwer und gnadenreicherweise frei von jedweden Amphibien und Leichenteilen. Wir brachen das letzte Brot, das Curan uns gegeben hatte, und teilten es mit den Vetteln, die einen Krug von schwerem Wein hervorzauberten und allen einschenkten. Ich wärmte mich innerlich und äußerlich, und zum ersten Mal seit Tagen – so schien es mir – waren meine Schuhe und Kleider trocken.
»Und wie läuft’s so?«, fragte Sage, nachdem wir je zwei Becher Wein intus hatten.
Ich zählte die Kalamitäten an meinen Fingern ab: »Lear seiner Ritter beraubt. Bürgerkrieg zwischen seinen Töchtern, Frankreich einmarschiert, Herzog von Cornwall ermordet, Graf von Gloucester erblindet, jedoch wieder mit seinem Sohn vereint, der völlig durchgeknallt ist, die Schwestern verzaubert und in den Bastard Edmund verliebt …«
»Ich hab sie ordentlich gebumfidelt«, fügte Drool hinzu.
»Ja, Drool hat sie rangenommen, bis beide kaum noch laufen konnten, und – mal überlegen – Lear wandert durch die Moore und sucht Zuflucht bei den Franzosen in Dover.« Da ist ordentlich was geboten.
»Dann leidet Lear?«, fragte Parsley.
»Sehr sogar«, sagte ich. »Ihm ist nichts geblieben. Er ist tief gefallen, vom König eines Reiches zum obdachlosen Bettler, innerlich zerfressen von Reue für Taten, die er vor langer Zeit begangen hat.«
»Dann hast du also Mitleid mit ihm, Pocket?«, fragte Rosemary, die arme Hexe mit den Katzenkrallen.
»Er hat mich vor einem grausamen Meister gerettet und auf seiner Burg leben lassen. Ein voller Magen und ein warmer Kamin erschweren es, den Zorn aufrechtzuerhalten.«
»Stimmt wohl«, sagte Rosemary. »Trink noch etwas Wein!«
Sie schenkte mir ein wenig dunkle Flüssigkeit in meinen Becher. Ich nippte daran. Sie schmeckte stärker, wärmer als vorher.
»Wir haben ein Geschenk für dich, Pocket.« Rosemary holte hinter sich ein kleines Lederkästchen hervor und klappte es auf. Darin befanden sich vier steinerne Fläschchen, zwei rote und zwei schwarze. »Die wirst du brauchen.«
»Was ist das?« Vor meinen Augen verschwamm alles. Ich hörte die Stimmen der Hexen und Drools Schnarchen, doch das alles schien mir in weiter Ferne wie in einem Tunnel.
»Gift«, sagte die Hexe.
Es war das letzte Wort, das ich von ihr hörte. Die Kammer war weg, und ich fand mich auf einem Baum an einem stillen Fluss bei einer steinernen Brücke wieder. Ich sah, dass Herbst war, da die Blätter sich verfärbten. Unter mir wusch ein Mädchen von wohl sechzehn Jahren Kleider in einem Eimer am Ufer des Flusses. Sie war ein zierliches Ding, und ihrer Größe nach zu urteilen, hätte ich sie für ein Kind gehalten, doch ihre Figur war ausgesprochen weiblich
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