For the Win - Roman
dass sowohl er als auch Mala logen. Ashok fragte sich, wie alt der Junge sein mochte. Vierzehn? Fünfzehn? Jung, dumm, betrunken, wütend und bewaffnet.
»Ganz vorsichtig«, flüsterte Ashok erneut.
Mala steckte ihr Handy weg und wog den Stein in der Hand. Sie ließ den Jungen dabei keinen Moment aus den Augen.
»Fünf«, sagte sie.
Er grinste sie an und spuckte rosa Betelspeichel in Richtung ihrer Füße. Sie regte sich nicht. Niemand regte sich.
»Vier.«
Er hob die Machete und richtete die Spitze auf sie. Sie schien es gar nicht zu bemerken.
»Drei.«
Stille breitete sich aus. Ein Motorroller wollte sich durch die Menge quetschen, doch der Fahrer musste absteigen und schieben.
»Zwei.«
Die Augen des Jungen zuckten von links nach rechts und wieder zurück. Dann stieß er einen schrillen Pfiff aus, und man konnte das Scharren nackter Füße hinter ihm im Café hören.
»Eins«, sagte Mala, hob den Stein und holte mit angespanntem Körper wieder aus wie ein Cricketwerfer, während Ashok dachte: Ich muss etwas unternehmen. Sie aufhalten. Das ist doch verrückt! Doch sein Mund und Körper gehorchten ihm nicht. Er stand wie gelähmt.
Der Junge hob die Machete, und seine Hand zitterte mehr denn je. Da warf Mala den Stein. Er zischte durch die heiße, feuchte Morgenluft, doch er traf nicht den Kopf des Jungen, sondern zerplatzte am Türrahmen neben ihm, wo er eine sichtliche Delle hinterließ. Der Junge zuckte zusammen, als Splitter von seinem Gesicht und der Brust abprallten. Ein paar Querschläger trafen mit einem hellen Laut die Machete.
»Verschwindet!«, sagte Mala.
Jetzt tauchten hinter dem Jungen fünf weitere auf, jeder mit einer Machete bewaffnet. Sie hoben die Waffen.
»Los, kämpfen wir!«, zischte der Kleinste von ihnen. Irgendwas stimmte mit seinem Kopf nicht. Ein Netz aus Narben zog sich über dessen linke Seite, so als hätte man ihn schlimm verprügelt oder über den Boden geschleift. Ashok konnte den Blick nicht von ihm wenden. Er hatte einen Cousin im Alter des Kleinen, doch der spielte stets im Wohnzimmer oder mit seinen Freunden, besaß Schuhe und einen klaren Blick, bekam drei Mahlzeiten am Tag und wurde von seiner Mutter jeden Abend mit einem Kuss zu Bett gebracht.
Mala fixierte den Jungen. »Kämpft lieber nicht«, sagte sie. »Wenn ihr kämpft, werdet ihr verlieren. Ihr werdet Verletzungen abbekommen. Lauft lieber weg.« Die Armee hob ihre Waffen und gab einen tiefen, knurrenden Laut von sich, der sich zu einem Grollen steigerte. Einer der Jungen hing am Handy und tuschelte aufgeregt. Ashok sah ihre Angst und spürte einen Hauch von Erleichterung: Diese Jungen würden aufgeben, nicht kämpfen. »Lauft!«, rief Mala und stampfte mit dem Fuß auf. Die Jungen zuckten zusammen.
Und ein paar der Soldaten lachten sie aus – ein gemeiner, spöttischer Klang, den Ashok oft beim Spielen gehört hatte. Er breitete sich durch ihren Reihen aus wie eine Schlange, die um ihre Füße kroch, und die Furcht in den Gesichtern der Jungen verwandelte sich in Zorn.
Einen Moment lang stand die Situation auf der Kippe: hier die kichernden Soldaten, da die vor Wut kochenden Jungen, alle mit Macheten, Knüppeln oder Steinen bewaffnet, und die Trennlinie dazwischen so fein wie ein Seidenfaden …
Und dann kippte sie tatsächlich: Der Kleinste hob seine Machete über den Kopf und griff an, einen wortlosen Schrei auf den Lippen – eher schon ein Heulen, wie Ashok es noch nie von einem Jungen gehört hatte. Er schaffte drei Schritte, ehe zwei Steine ihn trafen, einer am Arm und einer im Gesicht. Blut spritzte, ein Zahn flog hoch durch die Luft, und der Junge fiel niedergestreckt zu Boden.
Nun entlud sich die Gewalt. Mit erhobenen Waffen stürzten sich die verbliebenen fünf auf die Armee, einen irren Ausdruck auf den Gesichtern. Ashok hatte gerade noch Zeit sich zu fragen, ob einer von ihnen wohl ein Bruder des Kleinen war, der nun bewegungslos am Boden lag, dann war der Kampf auch schon voll entbrannt. Der größte der Jungen, der ihm heute Morgen geöffnet und ihn angespuckt hatte, schlug sich mit vor Zorn verzerrtem Gesicht den Weg frei und fügte zwei Soldaten tiefe Schnittwunden an Brust und Armen zu. Ein feiner Sprühregen hellen Bluts traf Ashoks Gesicht. Der Angreifer hatte es auf Mala abgesehen, die nur Zentimeter neben Ashok stand. Blut lief an der Klinge und dem Arm des Jungen hinab.
Erst schien Mala wie gelähmt, und Ashok dachte schon, für sie beide habe die letzte Stunde geschlagen. Das
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