For the Win - Roman
den langen Wimpern schienen in der heißen, schwülen Luftzu glühen. »Selbstbeherrschung wird überschätzt«, sagte sie. »Es spricht viel dafür, sich einfach gehen zu lassen.«
Mittlerweile ruhten so viele Blicke auf ihnen, dass Ashok sich auf der Straße nicht mehr wohlfühlte, und so gingen sie nach drinnen.
DasInneredesCaféswarkaumwiederzuerkennen.EsstankwiedieHöhleeineskrankenTiers,dassichunterdieErdezurückgezogenhat,undeineEckewaralsToilettebenutztworden.DieComputerwarenachtlosbeiseitegeschoben,dieKabelherausgerissenworden,einBildschirmlaginTrümmern.DerBodenwarvollBetelspuckeundleererFlaschen.Eswarirgendeinbilliges,hochprozentigesZeug,dasselbstdiealtenMänneraufderStraßenichtangerührthätten.
Ashok fand aber auch ein zerknittertes Foto, das eine ältere, aber immer noch hübsche Frau in steifer Haltung zeigte. In den Armen hielt sie ein Baby und einen größeren Jungen. Ashok erkannte den Jungen wieder – er war bei der Auseinandersetzung vorhin dabei gewesen. Und das Baby, dachte er, muss der tapfere kleine Junge gewesen sein, sicher sein jüngerer Bruder. Er fragte sich, was aus der Frau geworden war und was sie von den Kindern getrennt hatte, die sie auf dem Foto so voller Liebe umarmte. Und je mehr er darüber nachgrübelte, desto benommener fühlte er sich, bis sein Kummer ihn in großen, schwarzen Wogen übermannte, ihn unter sich begrub wie die einlaufende Flut und in die Knie zwang. Wenn einer der Soldaten ihn da am Boden sitzen und weinen sah, dann sagte er kein Wort.
Seine Unterlagen waren fast alle noch im Hinterzimmer. Die Internetverbindung stand auch noch, und in kürzester Zeit waren Müll und Dreck zur Tür herausgekehrt und die Fenster geöffnet. Fröhlicher Kampfeslärm erfüllte wieder Mrs. Dottas Café, wie es immer gewesen war. Ashok vertiefte sich in seine Tabellen und Zahlen, um den Plan den neuen Begebenheiten anzupassen, und war bald wieder so in seine Arbeit versunken, dass er nicht einmal die plötzliche Stille bemerkte, die sich mit dem Erscheinen eines Polizisten ausbreitete.
Der Polizist – fett, korrupt und noch mehr ein Geschöpf der Slums als die Kinder, eine richtige alte Dharaviratte – hatte sich bereits angehört, was die Nachbarn zu sagen gehabt hatten. Man hatte ihm erzählt, dass die Halbstarken mit den Macheten hier die Angreifer gewesen seien, und bloß wegen sechs namenloser Fremder hätte er sich normalerweise auch nicht aus der Ruhe bringen lassen. Wenn es aber einen Toten gab, hieß das, dass ein paar Formulare ausgefüllt werden mussten …
»Einen Toten?«, fragte Ashok.
»Der Kleine. Er ist auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.«
Ashok war, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen, und das Einzige, was ihn davor bewahrte, einfach umzufallen, war ein Laut der Bestürzung von Yasmin, der in ein leises Wimmern überging. Sie war so bleich, dass ihr Gesicht fast grünlich wirkte, und als Arztsohn fiel ihm auf, dass sich ihre Pupillen zu winzigen Punkten verengt hatten.
Der fette Polizist warf ihr einen Blick zu, und seine Lippen verzogen sich zu einem sarkastischen Lächeln. »Geht es Ihnen nicht gut, Miss?«
»Sie wird schon wieder«, sagte Mala knapp. Sie stand etwas näher als unbedingt nötig, und auch wenn sie kleiner war als er, verlagerte der Polizist doch unwillkürlich sein Gewicht und machte einen Schritt zurück.
»Also dann«, verabschiedete er sich und schwang seinen Notizblock, auf dem er Ashoks Ausweisnummer festgehalten hatte. Die Soldaten hatten alle behauptet, nie einen Ausweis besessen zu haben, was Ashok sehr bezweifelte, der Polizist aber nicht weiter infrage stellte. So wie er keuchte und schwitzte, hatte er es offenbar eilig zu gehen, und bald machten sich alle wieder an die Arbeit.
Der Himmel hatte endlich seine Schleusen geöffnet, und es regnete in Strömen. Der Regen hatte die Farbe des Schmutzes, den er auf seinem Weg aufgenommen hatte, und das Trommeln auf dem Wellblechdach klang wie ein Feuergefecht in einem billigen Spiel, in dem die Waffen nur ein metallisches pong und ping von sich geben.
Yasmin und Mala verschwanden kurz in Mrs. Dottas »Büro«, wo sie immer Chai über einem kleinen Gaskocher zubereitet hatte. Ashok versuchte sich auf seine Berechnungen zu konzentrieren, doch es gelang ihm nicht recht. Dann trat Mala wieder hinaus, ihre Miene das ausdruckslose Gesicht General Robotwallahs, auch wenn man nach wie vor die Tränenspuren darauf erkennen konnte. Sie schaute geradewegs durch Ashok
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