For the Win - Roman
sein Gesicht gerichtet.
»Wo ist Mrs. Dotta?«, fragte Ashok so ruhig wie möglich, was nicht sonderlich ruhig war. Er bekam kaum ein Wort heraus.
»Weg. Zurück in ihr Dorf.« Der Junge grinste ein verrücktes, böses Lächeln. »Das Café ist geschlossen.«
»Aber … «, setzte er an. Der Junge tat einen Schritt nach vorn, begleitet von einer Alkohol- und Schweißwolke, die selbst durch den üblen Dunst von Dharavi noch wahrnehmbar war. »Ich habe noch Unterlagen da drin«, sagte Ashok. »Die gehören mir! Im Hinterzimmer.«
Er hörte jetzt noch andere Geräusche von drinnen. Immer mehr dürre Jungen tauchten in der Tür auf, alle mit Macheten.
»Du verschwindest jetzt besser.« Der Anführer spuckte Ashok einen vor Betelnuss rosafarbenen Speichelstrom vor die Füße. Etwas davon erwischte den Saum von Ashoks Jeans. »Solange du noch kannst.«
Ashok wich weiter zurück. »Ich will mit Mrs. Dotta sprechen! Ich will mit dem Besitzer sprechen«, sagte er. Er musste seinen ganzen Mut aufbringen, um sich nicht umzudrehen und wegzurennen. Die Jungen bezogen nun im Eingangsbereich Position und grinsten ihn an.
»Mit dem Besitzer?«, fragte ihr Anführer. »Ich vertrete ihn. Du wirst schon mit mir reden müssen.«
»Ich will meine Unterlagen.«
»Meine Unterlagen«, wiederholte der Junge. »Willst du sie mir abkaufen?«
Die anderen Jungen kicherten wie ein Rudel Hyänen. Raubtierlaute. All die Macheten! Jede Faser seines Körpers drängte Ashok zur Flucht. »Ich will mit dem Besitzer reden. Richte ihm das aus! Heute Nachmittag komme ich wieder – um mich mit ihm zu unterhalten.«
Sein Wagemut überzeugte ihn selbst nicht recht, und für die anderen musste es wie ein Furz inmitten eines Sturms geklungen haben. Sie lachten. Und lachten noch lauter, als ihr Anführer einen Ausfall machte und Ashok nur knapp mit der Machete verfehlte. Gefährlich nah zischte die Klinge an ihm vorbei, und Ashok stolperte rückwärts gegen einen Mann, der gerade mit einem selbst gebastelten Vorschlaghammer auf dem Weg zur Arbeit war, quietschte erschrocken und rannte davon.
Malas Mutter reagierte erst nach langem Zögern auf sein Klopfen. Misstrauisch beäugte sie ihn. Sie hatte ihn schon bei der einen oder anderen Gelegenheit getroffen, wenn er den »General« nach langer Schlacht nach Hause gebracht hatte, und gefallen hatte er ihr bei keiner dieser Gelegenheiten. Jetzt starrte sie ihn mit unverhohlener Feindseligkeit an und verwehrte ihm den Einlass. »Sie hat sich noch nicht fertig angezogen«, erwiderte sie. »Du musst warten.«
Wütend und bestimmt drängte Mala sich an ihr vorbei. Ihr Haar war zu einem losen Pferdeschwanz gebunden, und ihr Hinken war deutlich zu sehen. Sie deutete ihrer Mutter einen flüchtigen Kuss an, verfehlte ihre Wange jedoch um mehrere Zentimeter und wies Ashok knapp zur Treppe. Gemeinsam eilten sie nach unten, vorbei an einer Familie, die sich gerade auf den Weg zur Arbeit machte, und dann nach draußen an die beißende Luft. Irgendwo in der Nähe wurde Plastik verbrannt. Der Gestank war noch stärker als sonst und löste Kopfschmerzen bei Ashok aus.
»Was gibt’s?«, fragte sie kurz angebunden, ganz die Geschäftsfrau.
Er erzählte ihr vom Café.
»Banerjee«, meinte sie. »Ich hab mich schon gefragt, ob er das probieren würde.« Sie nahm ihr Handy und schrieb einige SMS . Obwohl Ashok einen Kopf größer war als sie, kam er sich neben diesem Ausbund von Talent und Zorn in Mädchenform irgendwie klein vor.
Dharavi erwachte derweil zum Leben, und der Muezzin der Großen Moschee rief die Gläubigen über die Dächer der Hütten und Fabriken hinweg zum Gebet. Ashok hörte Hähne, Ziegen, eine Kuhglocke und das laute Niesen eines Rinds. Kinder weinten. Frauen schleppten Wasser an ihnen vorbei.
Er dachte daran, wie fremd all das für die meisten seiner Bekannten sein musste, für die Gewerkschaftsführer oder seine eigene Familie. Wenn er mit ihnen über die Webblys sprach, machten sie sich über die unwirkliche Welt der Spiele meist lustig. Was aber war mit dem unwirklichen Leben Dharavis? Millionen Menschen führten hier ein Leben, das sich die meisten Leute gar nicht vorstellen konnten.
»Komm mit«, sagte Mala schließlich. »Wir treffen uns am U.P. Hotel.«
Bei seinem ersten Besuch in Dharavi hatte er sich noch über die vielen »Hotels« im Kumbharwada-Viertel gewundert, bis er herausgefunden hatte, dass »Hotel« hier bloß so viel wie »Gaststätte« hieß. Die Webblys mochten das U.P.
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