For the Win - Roman
Busfahrer, der drohte, sie am Straßenrand abzusetzen, wenn sie ihm kein Schmiergeld zahlte. Er verkörperte alles, was ihr in ihrem bisherigen Leben zugesetzt und das Gefühl gegeben hatte, nur ein unbedeutendes, ängstliches Ding zu sein – ein kleines Mädchen vom Dorf.
Jetzt wimmerte er und hielt sich die Seite, weinte dumme Tränen, die seine dumme Wange runterliefen. Sie schimmerten im schmutzigen Mondlicht, das schwach durch die Wolken von Plastikrauch über Dharavi drang. Sie nahm einen neuen Anlauf, eins, zwei, kick und krach , wieder der befriedigende Laut. Sein Schluchzen blieb ihm in der Kehle stecken, zitternd vor Schmerz holte er Luft und heulte , heulte wie eine verwundete Katze in der Nacht, so laut, dass überall die Lichter angingen und Stimmen aus den Fenstern zu hören waren.
Es war, als wäre ein Bann gebrochen. Sie zitterte, war schweißgebadet, und die Leute starrten neugierig ins Dunkel. Auf einmal wollte sie so schnell wie möglich heim. Höchste Zeit, zu verschwinden.
Sie rannte. Als kleines Mädchen war sie immer mit fliegenden Armen und wehendem Haar über die Felder und Wege gerannt. Jetzt rannte sie durch die Nacht, und der Gestank des Wassers im Straßengraben stach ihr bei jedem platschenden Schritt in die Nase. Leute riefen hinter ihr im Dunkeln, aber wegen des hämmernden Pulses in ihren Ohren konnte sie kaum etwas verstehen. Später wusste sie nicht, ob sie sich die Stimmen womöglich nur eingebildet hatte.
Endlich war sie zu Hause und stürmte die Stufen zur Wohnung im dritten Stock hoch, die sie für ihre Familie gemietet hatte. Das Getrampel führte zu Protesten ihrer Nachbarn, aber sie achtete nicht darauf, hantierte mit dem Schlüssel und schloss auf.
Ihr Bruder Gopal sah sie von seiner Matte aus an. Seine Brust war nackt, und er blinzelte im Dunkeln. »Mala?«
»Alles okay«, sagte sie. »Es ist nichts. Schlaf weiter, Gopal.«
ErsankwiederzuBoden.MalasSandalenstanken.SiezogsiemitdenFingerspitzenausundstelltesievordieTür – manmüssteschonsehrverzweifeltsein,dieseSchuhezustehlen.AuchihreFüßestanken.InderZimmereckehattensieeinengroßenWasserkrugmiteinerSchöpfkelle.VorsichtigtrugsiebeideszumFenster,öffnetediequietschendenLäden,setzteersteinen,danndenanderenFußaufdieFensterbankundgossdasWasserlangsamdarüber.Gopalregtesichwieder.»Mala«,sagteer.»EsistdochSchlafenszeit.«
Sie ignorierte ihn. Sie war noch immer außer Atem, und das Ausmaß dessen, was sie getan hatte, wurde ihr erst allmählich bewusst. Wie oft hatte sie Mrs. Dottas Neffen getreten? Viermal? Fünfmal? Und jedes Mal hatte etwas in seinem Körper geknackt. Warum nur hatte er sich ihr in den Weg stellen müssen? Wieso hatte er ihr auch nach draußen folgen müssen? Was war es nur, was die Großen und Starken daran fanden, die Schwachen zu terrorisieren? Ganze Banden von Jungs taten das mit den Mädchen und manchmal sogar mit erwachsenen Frauen – sie verfolgten sie, riefen ihnen Sachen nach, betatschten sie, und manchmal kam es sogar zu einer Vergewaltigung. Sie hielten es nur für ein Spiel, aber das war es nicht. Nicht, wenn man das Opfer war.
Wieso taten sie das nur? Wieso hatte es dazu kommen müssen? Der Klang der brechenden Rippen war in dem Moment so befriedigend gewesen. Nun wurde ihr schlecht bei dem Gedanken. Sie zitterte, obwohl es eine dieser schweißtreibenden Nächte war, in denen alles ganz schleimig schien. Die Feuchtigkeit hing tief und dick wie Suppe über Dharavi.
Sie weinte, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, und schämte sich dafür. Das war das Verhalten eines Mädchens vom Dorf, nicht das des tapferen Generals Robotwallah.
Schwielenbedeckte Hände drückten ihre Schultern. Der Geruch ihrer Mutter: sauberer Schweiß, Gewürze und Seife. Starke, dünne Arme umschlossen sie von hinten.
»Oh mein Kind, was ist dir passiert?«
Und sie wollte Mamaji alles erzählen – doch alles, was sie herausbekam, waren heftige Schluchzer. Sie legte den Kopf an die Brust ihrer Mutter und weinte hemmungslos. Die Schübe hörten gar nicht mehr auf und fühlten sich an, als würde ihr Innerstes nach außen gekehrt. Gopal stand auf und verzog sich verängstigt nach nebenan. Sie nahm alles wie aus großer Ferne wahr: ihr weinender Körper hier, ihr Geist an einem kühlen, fernen Ort.
»Mamaji«, sagte sie schließlich, »da war ein Junge … «
Ihre Mutter drückte sie fester. »Oh Mala, mein armes Mädchen …
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