Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
rumkriegt?“
„Pfadfinder? Bist du noch ganz dicht? Verdammte Scheiße.
Meine Mutter bringt mich um, wenn ich um elf nicht zu Hause bin! So eine
Geschichte glaubt die mir nie. Die denkt immer, ich hänge irgendwo zum Saufen
ab. Oder mit ’nem Typen. Am besten beides.“
„Tut mir wirklich leid.“
„Sollte es auch!“
„Ich frag mich die ganze Zeit, ob das nicht irgendwie
zu dieser Irrgartensache gehört“, überlegte Carmino, der jetzt auch an einem
Apfel nagte.
„Schwachsinn. Was meinste, was die Leute dazu sagen
würden? Was meinste, was ich dazu sagen werd?! Ich verklag die auf so
viel Schmerzensgeld, dass die in ihrem Scheißgarten demnächst Kartoffeln
anbauen müssen!“
„Hast du noch ’ne Zigarette?“, riskierte James
schließlich die Frage, die er schon seit einer Weile stellen wollte. Er rauchte
sonst nicht, aber im Moment war ihm alles Recht, was ihn von seinem Hunger
ablenken konnte.
„Nee. Und wenn, dann würd ich sie dir bestimmt nicht
geben!“
Dann eben nicht. Dann konnten sie jetzt nur noch
rumsitzen und der Dunkelheit zusehen und darauf warten, dass endlich Lichter im
Wald erschienen und Stimmen und Hundegebell.
Das war total verrückt, oder? Hier im feuchten Gras zu
hocken, in Rufweite einer Welt voller Leute, und einfach keinen Weg zu ihnen zu
finden – zum Stillhalten und Warten verdonnert – nichts zu trinken zu haben –
der Reihe nach zum Pinkeln ins Gebüsch verschwinden zu müssen – während es
immer dunkler und dunkler wurde. Es hatte auch nichts Witziges oder
Abenteuerliches an sich, weil sie einander nicht kannten und auch gar nicht
kennenlernen wollten, und weil sie diese Nummer hier nicht freiwillig und zum
Spaß abzogen. Es war so beklemmend, und die Hilflosigkeit war so ungewohnt für
sie, dass sie einfach nur dasaßen und schließlich ganz verstummten, weil keiner
die anderen merken lassen wollte, wie unbehaglich er sich fühlte.
Irgendwann war die Dunkelheit tief und endgültig.
Carmino murmelte, dass er jetzt jedenfalls eine Runde schlafen würde. Von Pix
war nichts zu hören.
James war das Gezänk fast lieber gewesen, denn jetzt
lenkte ihn nichts mehr von den beunruhigenden Gedanken ab. Er starrte in die
tiefe Schwärze des Wäldchens, entschlossen, die Augen aufzuhalten. Überall um
sie herum im Gesträuch fingen die Grillen an zu kirren. Im Wald knackte und
knisterte es. Eine Weile hörte er außerdem das seltsam klanglose Schnarren des
MP3-Players, mit dem Pix die Nacht aussperrte. Dann ein Geräusch, das er lange
nicht zuordnen konnte, bis ihm klar wurde, dass einer der beiden mit den Zähnen
klapperte. Nervtötend.
„He – willst du meine Jacke?“, flüsterte er und warf
das Kapuzenshirt schließlich in Richtung des Geschnatters. Es kam kein Dank,
aber das Ding flog auch nicht zurück, und dann hörte er, wie der Reißverschluss
zugezogen wurde. Er selbst fror nicht so schnell. Und wenn doch, dann würde ihn
das wenigstens wach halten.
Es wird sowieso keiner kommen.
Er wollte das nicht denken, aber zugleich war er davon
überzeugt, jetzt im Dunkeln noch viel mehr als vorhin. Wo immer Wokenduna Hall
und der Irrgarten sein mochten, sie waren jedenfalls zu weit davon entfernt,
als dass man sie hätte finden können. So ein Quatsch, dachte er. Wie ein
bisschen Durst und Dunkelheit einem das Hirn verdrehen konnten. War eigentlich
sogar ganz interessant, das mal an sich selbst zu beobachten.
Irgendwas krabbelte an seinem Arm hinauf, und er
wischte es schnell weg. Seine Klamotten sogen sich allmählich mit der
Feuchtigkeit der Nacht und des Bodens voll. Einmal flog etwas Kleines so dicht
über ihn hinweg, dass es sein Haar streifte. Fledermäuse, sagte er sich, aber
sein Herz raste. Die Nacht war so dunkel – so dunkel, wie sie es draußen,
weitab von der Stadt, vermutlich immer war. Wenn er früher mit dem
Astronomieklub unterwegs gewesen war, hatte er sich auch immer über diese
Dunkelheit gewundert und darüber, wie voller Sterne der Nachthimmel war. Er
hatte das nur vergessen. Heute gab’s nicht mal Sterne, es mussten wohl Wolken
aufgezogen sein.
Irgendwann nickte er doch ein, und sein Kopf sank
gegen den Baumstamm zurück. Er träumte einen unruhigen, löcherigen Traum, in
dem Karen ihm erklärte, dass es doch keinen Sinn mehr hatte mit ihnen und dass
er sich so verändert hätte. „Ich mach mir Sorgen um dich“, sagte sie. Und dann
wachte er auf, als er ihr eben erklären wollte, dass sie sich nicht mal
annähernd genug Sorgen um ihn
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