Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
wegkommen.“
„Hatte gar nicht den Eindruck, dass du es so schlimm
findest hier.“
„Ich nicht. Aber ich glaube, James hat ein Problem
damit.“
„James? Mir kam der ganz ruhig und besonnen vor.
Beneidenswert. Ich hab mich viel mehr aufgeregt als er.“
Sie sah über den Wagenrand zu ihm hinunter. Musste
erst mal die Augen zusammenkneifen, die vom Licht auf dem Fluss ganz geblendet
waren. Da saß er auf der untersten Stufe, hatte große, graugrüne Blätter,
Papierbögen und entblättertes Schilfrohr um sich herum verteilt und rührte
etwas in einem Becher an.
„Ich kann’s nicht genau erklären. Ist einfach so ein
Gefühl, dass du James von hier wegbringen musst. Der könnte sonst draufgehen.“
„Wie kommst du denn darauf? Bist du etwa so was wie
eine Wolkensammlerin?“
Bei neuen Vokabeln fragte sie nur noch selten nach.
Seit sie ihren Pakt geschlossen hatten, ließ er sie immer wieder mit boshaftem
Vergnügen auflaufen, wenn es um Erklärungen ging, die nicht unbedingt nötig
waren.
„Ich seh mir gern Leute an, wenn du das meinst. Männer
vor allem“, fügte sie freundlich hinzu – und verkniff sich ein Grinsen, als sie
ihn zusammenzucken sah. Er war so komisch mit seinen Vorstellungen von dem, was
sich gehörte und was nicht! Von Letzterem gab es eine lange, lange Liste, die
allerdings nur im Umgang mit Frauen zu gelten schien – und natürlich für die
Frauen selbst. Komischer war nur noch die angestrengte und so gar nicht zu
seinem sonstigen Verhalten passende Schamhaftigkeit, die er im Hinblick auf
Frauen an den Tag legte. Sie überlegte kurz, ob sie das Gespräch auf seinen
Besuch in einem ziemlich eindeutigen Etablissement namens Honigwabe bringen sollte, den sie gestern am späten Abend beobachtet hatte. Aber dann
beschloss sie, gnädig zu sein und zum Thema zurückzukehren.
„Bist du wirklich sicher, dass diese Peregrini-Truppe
da ist, wo du sie vermutest?“
„Sie wollen nach Gassapondra, und da nehmen sie
entweder die Deltastraße wie wir oder die Minenstraße durch Orolo. Übrigens: Gut
für uns, wenn sie die Trukantagyja nehmen, denn die führt am Éllambru vorbei –
und da willst du doch hin. Dann können wir sie gleich dort treffen. Auf jeden
Fall ist der Weg durch Orolo der einzige Umweg, über den sie noch einigermaßen
pünktlich nach Gassa kommen.“
„Pünktlich wofür?“
„Für den großen Herbstmarkt. Immer die beiden ersten
Wochen im September. Viele Peregrini-Trupps kommen dahin, es liegt ja auch am
Weg nach Krai. Und Krai ist ein weiterer Fixpunkt: Da treffen sich jedes Jahr
im September alle Peregrini des Landes. Sie feiern da ein Fest – ich glaube,
das geht auf den großen Brand von Krai zurück.“
„Aber wir haben heute schon den sechsten September!“
„Nein. Heute ist der dreiundzwanzigste August“,
erwiderte er. „Übrigens auch ein Festtag –“
„Dorian, wir sind uns am dreißigsten August begegnet!“
„Nein, am sechzehnten. Und diese zwei Wochen sind
genau die Differenz, die schon Ibn Ward postuliert hat.“ Und dann brabbelte er
noch etwas über seine Schwierigkeiten, die verschiedenen Zeitrechnungen im
Süden und hier und in Gorth Britaine zusammenzubringen, aber da hörte sie lieber
gar nicht erst zu. Zwei Wochen Zeitunterschied – wenig genug, wenn man es genau
bedachte. Das erklärte die Sache mit den Zeitungen.
„Ich hatte mich schon gefragt, ob die hier überall nur
alte Zeitungen verkaufen. War wohl ein kluger Kopf, dieser Ibn Ward.“
Er ließ die große weiße Garnrolle sinken, von der er
lange Schnüre abgeschnitten hatte, und sah grübelnd zu ihr auf. „War er, ja.
Und du könntest irgendwo davon gehört und es verwendet haben, um eure
Geschichte glaubwürdiger zu machen.“
„Warum sollte ich das?“, seufzte sie. „Mal angenommen,
es würde zu einem Gaunerplan gehören, mit dem Ziel, dich auszunehmen – meinst
du, ich wüsste immer noch nicht, dass bei dir nichts zu holen ist?“
„Stimmt. So gründlich, wie du meinen Wagen durchsucht
hast, kann dir das kaum entgangen sein“, erwiderte er sarkastisch. „Du könntest
allerdings auch auf andere Sachen aus sein … meine Erfindungen … meine Notizen
… vielleicht bezahlen dich ja die Nordträumer, woher soll ich das wissen.
Vielleicht sogar Rowland – oder Ellie persönlich!“
„Ach komm! Das glaubst du doch selbst nicht!“
„Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich hab gehört,
was du den Leuten alles erzählt hast, von deinem Hof in Maikonnen und
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