Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
Wagen unter ihr
herumzukramen begann. Zu reparieren gab es da zurzeit nichts – die Tür, die das
Brackschwein demoliert hatte, war längst wieder wie neu. Die hatte er noch am
gleichen Abend ausgebessert. Vielleicht setzte er sich ja jetzt hin und erfand
irgendwas.
Sie drehte sich auf den Bauch, stützte das Kinn auf
die Arme und sah zur Abwechslung wieder auf den Akbarnen hinaus. Dorian hatte
den Wagen so geparkt, dass er auf der wasserzugewandten Seite fast ins Schilf
stieß. Man konnte gerade noch darüber hinwegsehen, wenn man auf dem Dach lag,
und sie mochte die Geräusche, die der Wind darin machte: von einem flüsternden
Zischeln bis zu dem harschen Rascheln, wenn die rauen Blätter aneinanderrieben.
Das helle Geflimmer des Flusses wurde hin und wieder von einem gewölbten,
glatten, steingrauen Rücken durchbrochen, der aus dem Wasser auf- und wieder
abtauchte. Riesenfische? Flusspferde etwa? Die Ungeheuer vom Akbarnen? Sie
musste es nicht wissen. Sie sah in das zersplitternde Glitzern und fühlte sich
glücklich. Alles war möglich. Das hier war die Fremde …!
Allerdings – ein paar Dinge gab es schon, auf die man
mal einen Gedanken verwenden sollte. Sie waren jetzt seit Tagen auf der
Deltastraße unterwegs, aber weder in Tebbe noch in Olivar oder irgendwo
dazwischen war der Stern von Montagu bisher gesehen worden. Man erinnerte
sich an andere Peregrini-Trupps, die in den letzten Wochen durchgezogen waren –
einer von ihnen, auf dessen Wagen der Name Sturm von Brennaghann aufgemalt war, brach sogar gerade erst auf, als Inglewings Reparaturen in Olivar ankam. Aber von den Montagus hatte auch in Brekenzoil bisher niemand
etwas gesehen, nicht einmal die Leute vom Sturm von Brennaghann , die
hier jetzt ebenfalls auf die Fähre warteten. Sie hatte sich umgehört bei ihren
Streifzügen durch den Ort. Selbst Dorian, der sich so sicher gewesen war, dass
sie auf der Deltastraße sein würden, hatte heute Mittag schließlich
eingestanden, dass die Montagus diesmal wohl doch einen anderen Weg genommen
haben mussten.
„Sonst ziehen sie jedes Jahr um diese Zeit hier durch.
Au, verdammt ist das Zeug heiß!“ Das galt dem Makave, den sie ihm mitgebracht
hatte. „Ich bin ihnen hier schon oft begegnet! Diesmal muss ihnen irgendwas
dazwischengekommen sein.“
„Drei angebliche Flüchtlinge von einem Schiff aus dem
Süden vielleicht?“
„Wäre doch ein guter Grund, oder? Kannst du mir nicht
ein Shervis bringen, so kalt wie möglich?“
Nach seiner neuen Theorie war die Truppe auf einer
Minenstraße in Orolo unterwegs. Sie hatte sich das vorhin auf seinen Karten
angesehen; es war ein deutlicher Umweg. Aber immerhin wären sie dann schon in
Orolo, und das passte gut. Denn dort lag auch dieser seltsame See, über den er
nicht mehr sagen wollte, zu dem er sie aber gemäß ihrer Vereinbarung bringen
musste. Die Minenstraße führte direkt daran vorbei.
Sie hatte ein ungutes Gefühl, wenn sie an James
dachte, James an diesem ersten Tag, in Dorians Wagen. Die anderen waren
durcheinander, ängstlich oder wütend gewesen, aber er hatte ausgesehen, als
hätte er in einen bodenlosen Abgrund geblickt. Man merkte, wie er mit aller
Macht ruhigzubleiben versuchte. Er schien sich auch die Schuld an der Situation
zu geben. Warum?
Sie hatte sein Gesicht noch genau vor Augen, ein
Gesicht, das vermutlich niemals griesgrämig aussehen konnte, egal wie dreckig
es ihm gehen mochte. Er hatte solche Kräusel in den Mundwinkeln, in denen stets
ein Lächeln bereitzuliegen schien. Und über seiner Stirn strebten
haselnussfarbene Haarwirbel nach oben, wie um diesen Eindruck noch zu
unterstreichen. Es war ein Gesicht, das man gerne ansah, das einen
unwillkürlich selbst lächeln ließ – das würde ihm als Arzt sicher mal zugutekommen.
Aber über diesem sozusagen zur Freundlichkeit verdammten Gesicht lastete etwas,
da lag etwas in seinen Augen, das so gar nicht zum Übrigen passte –
Resignation? Trauer? Etwas Beklemmendes auf jeden Fall, und es hatte nicht oder
jedenfalls nicht nur mit der Situation zu tun.
Sie rückte an den Büchern unter ihrem Kopf herum. Die Zeichenliste
der Langor-Varr war wohl doch zu viel – auf die Seite damit. Ja. Ohne lag
man bequemer.
Als der Wind die Seiten des Buches erwischte und
aufblätterte, sah Dorian, der seit einigen Minuten vor dem Wagen
herumkramte, auf. „Was machst du da oben eigentlich?“
„Nachdenken. Wir müssen die anderen unbedingt
wiederfinden. Und zusehen, dass wir von hier
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