Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
Konnte sie nicht wissen. Genauso wenig wie sie all das hier rechtmäßig
gekauft haben konnte. Da waren ein Viertel Ziegenkäse, zwei glänzende rote
Paprikaschoten, ein Päckchen, das dem Duft nach geräucherten Fisch enthielt,
und als Krönung des Ganzen eine Schinkenkeule. Auch wenn es nur Eselsschinken
war, dafür konnte sie unmöglich genug Geld gehabt haben. Geklaut. Sie hatte das
alles auf dem Suq zusammengeklaut. Unter den Augen der Custodians.
„Komm rauf, schnell!“ Er verstaute den Korb hastig
hinter der Fahrerbank – und war damit dann wohl Mittäter. „Woher hattest du das
Geld? Bist du sicher, dass du nicht verfolgt wirst?“
Sie setzte sich in aller Ruhe neben ihn und nahm den
blöden Hut ab. „Nur die Ruhe, Dorian. Das meiste habe ich gekauft. Der Rest –
nicht mehr, als wir brauchen. Mundraub.“
„Die Custodians wird das nicht beeindrucken. Und auch
keinen Arbiter. Hier nennt man das einfach Diebstahl. Und dafür bist du schnell
in Tulsa, vor allem, wenn du nur ein Treibser bist.“
„Ich konnte die ewige Getreidepampe einfach nicht mehr
sehen.“
„Du bleibst hinten im Wagen! Am besten im Sikkabit .
Rühr dich nicht von der Stelle, bis ich es dir sage! Ich muss uns jetzt erst
mal durchs Stadttor bringen – das könnte schwierig genug werden, auch ohne dass
die Custodians eine Diebin im Wagen wiedererkennen!“
Wenn man sie beim Klauen erwischte, konnte er ihr auch
nicht mehr helfen. Er wollte sie wirklich nicht auf dem Weg nach Tulsa sehen!
Und schon war er wieder wütend, und es war schlau von ihr, ohne weiteres
Gequatsche zu gehorchen und sich hinten im Verschlag mit dem Käferkübel zu
verstecken. Auch den verräterischen Korb versteckte er und ihren Hut, dann
wischte er sich den Schweiß von der Stirn, setzte ein Lächeln auf und fuhr los.
Diesmal hatte er Glück. Die Torwächter kannten Inglewings
Reparaturen und winkten ihn gegen eine weitere kostbare Kelverne durch. Was
den Brückenzoll auf der Two-Tinks anging, behielt er zwar Recht, aber er war so
erleichtert, unbehelligt aus der Stadt gekommen zu sein, dass ihn der leere
Geldring kaum kümmerte. Die Two-Tinks und Parrot’s Fork blieben langsam hinter
ihnen zurück, während sie auf dem überwucherten Weg zwischen den
Wasserpilfafeldern am Akbarnen und den ersten Hängen des Bult Richtung Norden
fuhren.
Damit war die Entscheidung dann wohl gefallen. Orolo
statt Orchrai, zumindest fürs Erste.
2
Zweieinhalb
Stunden später. Er hatte die Tonne mitten im Wagen ausgekippt und hockte nun
vor seinem verstreuten Krempel.
„Komm endlich raus frühstücken!“, rief Kate von
draußen. „Was suchst du eigentlich?“
Vor ihm lagen Wäsche, Schuhe, Bücher, ein Hammer, den
er schon seit einer Weile vermisste. Noch mehr Klamotten – er war ganz
erstaunt, dass er so viel besaß. Da war auch noch James’ graue Kapuzenjacke mit
dem faszinierenden Verschluss aus lauter ineinandergreifenden Zähnchen. Ein
Notizbuch, die Schachtel Tafelkreide, von der er angenommen hatte, dass er sie verloren
hatte. Alles da. Nur nicht das, was er suchte.
„Meine Dikrana“, rief er zurück. „Wenn wir auf der
anderen Seite des Berges runterfahren, sind wir in Orolo. Da hab ich sie lieber
griffbereit.“
„Du solltest mir vorher wohl doch noch etwas über
dieses Land erzählen. Was ist eine Dikrana? Ist das nicht griechisch für
Heugabel?“
Da war sie! Unter dem verdammten Hammer! Eine Zinke
war verbogen – nicht so gut. Aber wenigstens war sie da. Er sprang aus dem
Wagen. „Das hier ist eine Dikrana. Ein Gerät für den Gelichterschutz – Packen
oder Vertreiben. Gehört in Orolo zur Grundausstattung. So wie Palintegrus –
blöderweise hab ich den letzten Rest in der Räucherkugel verbrannt und
vergessen, neuen zu kaufen.“
Kate hatte es sich auf dem Gras bequem gemacht und säbelte
am Schinken herum. Jetzt sah sie auf und betrachtete skeptisch die Dikrana.
„Klingt, als würdest du wirklich an dieses Gelichter glauben.“
„Das ist keine Frage des Glaubens. Gib mal her.“ Er
nahm ihr das Messer aus der Hand und schnitt ein Stück von der Keule herunter.
Er hatte es passend für sich geschliffen, was bedeutete, dass die Richtighänder
so ihre Schwierigkeiten damit hatten. Sein Magen knurrte. Sie hatten das
Frühstück immer weiter aufgeschoben, weil die Umgebung nicht zum Rasten einlud.
Jetzt war es Mittag, und seit einigen Minuten schien die Sonne strahlend vom
tiefblauen Himmel. Die insektenschrillende Schwüle des
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