Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
Lakkabarstreifens hatten
sie tief unter sich gelassen. Rechts vom Weg fiel der Hang steil ab, vor ihnen
erhob sich dunkel und schroff der Keber, der höchste Berg des östlichen Bult.
Ihr Weg schien direkt in dieser Felswand zu enden.
„Schön hier. Aber das Beste ist, dass wir die Mücken
endlich los sind!“, sagte sie und kratzte ihren linken Fußknöchel und dann die
Wade hinauf. Auch am linken Arm hatte sie jede Menge Stiche, und auf der linken
Wange prangte ein rotglühender Dreiergipfel. Er sah sie vor sich, wie sie
geschlafen haben musste: auf der rechten Seite, die linke nackt und
preisgegeben. Genau genommen hatte er sie tatsächlich so gesehen, als er nachts
noch einen Blick in die Fahrerkabine geworfen hatte. Da lag sie auf der
hinteren Sitzbank und schlief.
Er schnitt noch eine Scheibe von dem Schinken für sich
selbst herunter. Diebstahl oder nicht, das war um Längen besser als Pilfabrei
mit Schildkröte.
„Siehst du den Spalt da vorn in der Felswand? Das ist
der Keberpass. Angeblich hat Kumatai den Keber in einem Wutanfall gespalten.
Freundlicherweise breit genug, dass zwei Wagen gerade eben aneinander
vorbeikommen, zumindest nachdem die Menschheit noch ein bisschen nachgearbeitet
hat. Deshalb ist das hier seit Ewigkeiten ein Karawanenweg zwischen Orolo und
den südlichen Präfekturen.“
„Karawanen? Und wo sind die?“
„Das frag ich mich auch schon die ganze Zeit.
Normalerweise begegnen einem hier immer Transporte aus den Minen. Wenn man Pech
hat, auch mal Wegelagerer oder Räuberbanden. Es gibt einige Dörfer im Bult, die
nur davon leben, dass sie die Wagen aus den Minen überfallen und die Beute in
den Städten verkaufen – Trukant, Kelve, Salz und sogar Argett-Silber.“
„Das sind ja tolle Aussichten.“
„Ach, bisher bin ich immer durchgekommen. Einmal gab’s
einen Zwischenfall – aber die waren zu Fuß, und da ist der Wagen
glücklicherweise schneller. Hat mich eine eingeschlagene Tür gekostet und einen
Messerstich in die Schulter, aber das war’s.“
Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu. Den Spitzhut
hatte sie im Wagen gelassen, und so blieb sein Blick wieder einmal an ihren
Ohren hängen, die klein und rund und weiß waren. Komische Welt musste das sein,
in der Frauen ihr Haar so kurz schnitten, als wollten sie ihre Ohren
ausstellen. Bei dem Gedanken musste er grinsen. Ihre Ohren waren das Einzige an
ihr, das so aussah, als könnte es nicht lügen. Verrückt, so was zu denken, aber
so war es nun mal.
Er sah ein Echo seines eigenen Grinsens auf ihrem
Gesicht, und nicht zum ersten Mal wurde ihm klar, dass sie ihn beobachtete,
während er sie betrachtete. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie einander auf
diese Weise, ohne es zu wollen, jede Menge mitteilten. Verschwommene
Informationen, die sich ansammelten und ihr Verhalten bestimmten, ohne dass sie
auch nur in Gedanken gefasst worden waren. Geschweige denn in Worte.
„Wie geht es denn jetzt weiter?“
Ich muss vorsichtig sein, dachte er jäh, als er sich
wieder bei wortlosen Spekulationen und dieser seltsamen, vor sich hin
köchelnden Freude erwischte. Seit er sie gestern Abend auf der Upper Tinks
gefunden hatte, war diese Freude (oder was immer es war) die ganze Zeit da. Und
dann war da noch der Stich, den er empfunden hatte (und der immer noch stach),
als ihm klar wurde, dass sie auch das grüne Tuch gegen diese Karuleiru-Tracht
eingetauscht hatte. Das Tuch war so etwas wie ein Geschenk gewesen. Er hatte es
mit ihrem Gesicht vor Augen für sie ausgesucht. An jenem ersten Mittag schon.
Ihm wurde ganz kalt, als er daran dachte. Wie
idiotisch benahm er sich da eigentlich?! Aber unbeeindruckt von den Bedenken
seines Kopfes brandete das kitzelnde Gefühl direkt unter dem Zwerchfell erst
recht auf.
„Dorian?“ Sie wedelte mit der Schinkenscheibe vor
seinem Gesicht herum. Dahinter ihr Lächeln mit dem Funken Spott in den Augen.
„Hörst du mich? Wie geht es weiter?“
Es war natürlich alles Quatsch, alles Einbildung.
Keine wortlosen Gespräche. Das war nur sein Hirn, das allmählich durchbrannte.
Zum Glück konnte man dagegen was tun. Damit hätte er es versuchen sollen
gestern Abend, anstatt sich auf das Grals zu stürzen. Mit Alkohol vertagte man
die Sache bloß immer nur, anstatt sie zu bereinigen. Also, Schluss jetzt. Heute
Abend in Fasme. Da würde er sich den Blödsinn mit Kate gründlich aus dem Hirn
schlagen. Und jetzt wartete sie auf seine Antwort.
„Durch den Pass. Wir kommen östlich von Kebernett
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