Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
verschwammen vor seinen Augen.
Ein scharfer, heißer Geruch direkt unter seiner Nase
ließ ihn wieder zu Atem kommen. Gerringer sah ihn prüfend an und klappte dann
den Deckel einer kleinen Dose zu. „Alles klar?“
Er nickte. Nein, Orla war nie drüben gewesen! Orla war
nur ein verstörtes Peregrini-Mädchen. Eine padauni . Ihre wirren Reden,
ihre Blicke – all das hatte er sich nur so zurechtinterpretiert, dass es in
seine Vorstellung passte, nach der sie einander von drüben kannten. Während in
Wirklichkeit – oh Gott, in Wirklichkeit –
Ich darf nicht mehr in ihre Nähe kommen! Ich darf sie
nicht mal mehr ansehen!
„Die Mittel! Du hast gesagt … was muss ich tun, damit
er verschwindet?“
„Erst mal musst du dich beruhigen, Hakemi, wirklich.
Du siehst schon selbst aus wie ’n Bleicher. Komm, trink noch Kaffee!“
„Lass das! Ich will nur – ich muss ihn loswerden,
sofort! Ich kann das nicht – ich bin doch kein – ich kann doch keinen Mörder –“
„Junge, nur die Ruhe! Wie gesagt, vielleicht hat sich
die ganze Angelegenheit heute ja schon erledigt. Und wenn nicht – für den Fall
kann ich dir ein paar wirkungsvolle Mittel empfehlen. Kräuter zum Beispiel: Du
solltest immer ein Sträußchen aus Rosmarin, Zerberbart und Thymian bei dir
tragen. Nachts aufs Kopfkissen legen, gegen die Träume! Und wenn's ganz dicke
kommt, helf ich dir, ein Ritual zur Vertreibung durchzuführen. Dafür brauchen
wir allerdings außer dem Namen des Toten auch einen Gegenstand, der ihm gehört
hat. Und man muss es entweder am Ort seiner Bestattung durchführen oder
wenigstens mit etwas Erde von diesem Ort … zugegeben, das könnte in diesem Fall
ein bisschen schwierig werden, weil man Daggers Leiche natürlich den Aasfressern
überlassen hat, aber … Ich bin sowieso so gut wie sicher, dass die Kräuter
ausreichen. Und dann gibt es ja noch ein Mittel, das sich bei Besessenheiten
aller Art sehr bewährt: den Jäger-Shelter. Hm, schon mal davon gehört?“
Aberglaube, magische Mittelchen, Kräuter, Erde, Jäger- was ?
Was er brauchte, war eine gute Dosis Haloperidol!
„Als Shelter bezeichnen wir hier in Orolo einen
gelichtersicheren Schutzraum. Aber ein Jäger-Shelter ist kein Ort, ist ja klar,
weil wir meistens unterwegs sind. Da müssen wir unseren Shelter schon dabeihaben.
Und deshalb ist ein Jäger-Shelter ein Spruch, so einer, wo am besten gar kein
Sinn drin ist, verstehst du – den wiederholst du so lange in deinem Kopf, bis
dein Verstand ganz ruhig und leer geworden ist. Sheltern ist ’ne alte
Jäger-Technik, mit der man sich gegen Gelichterwesen schützt, die aufs
Einnisten aus sind. Und wenn sie einmal drin sind, dann hilft es einem, die
Oberhand über das Ding zu behalten. Ich sprech aus Erfahrung, Junge.“
„Meinst du so was wie – wie Treppenstufen schlafen
nie ?“
„Ein gutes Beispiel! Je weniger Sinn, desto besser.
Versuch’s damit! Aber Geduld, das dauert ein bisschen.“
Im Lager hatte Brogue angefangen zu singen. Seine
Stimme und das metallische Zirpen der Udd schlingerten weithin über das
Felsplateau. Ein paar späte Heimkehrer, die auf ihr Dörfchen zugehastet waren,
zögerten jetzt beim Wagenkarree. Ihre verständnislos glotzenden Gesichter
glühten rot auf im Abendlicht.
„Und Freunde!“, fügte der Jäger hinzu und biss in
etwas, das wie verbrannter Zwieback aussah. „Freunde sind auch immer ’ne gute
Sache, wenn man mit so was zu kämpfen hat. Da kommt einer für dich, wenn ich
mich nicht täusche.“
Freunde?! Stanwells angeekelte Miene von heute
Nachmittag hatte er noch deutlich in Erinnerung. Aber das da war Firn, der auf
sie zu schlenderte.
„Schwachsinnige Schweinezüchter“, lautete sein Urteil
über die Dörfler, die immer noch bei den Wagen standen. Dann wandte er sich an
James. „Dachte mir schon, dass du dich heute vor dem Unterricht drücken
würdest. Also los jetzt. Du hast das Üben bitter nötig, Kramper!“
3
Die
Erschöpfung ließ ihn nachts schlafen, traumlos, wie ausgelöscht. Und am Morgen
war das lähmende Entsetzen verschwunden. Forlorner? Mittagsjäger? Er hatte
einen Nervenzusammenbruch gehabt da draußen in der Wüste, so viel war wohl
klar. Aber nachdem nun der Schock abgeklungen war, beleidigte der Forlorner-Quatsch
seinen Verstand. Seine überreizten Nerven hatten aus alten Albträumen und der
verrückten Wirklichkeit ringsum ein Netz gesponnen, in dem sich dann durch
Zufall oder vielleicht auch durch eine spontane Eingebung etwas
Weitere Kostenlose Bücher