Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
gefangen
hatte. Vielleicht hatte er ja schon vorher von diesen Geschichten über den
Digger-Dagger gehört und konnte sich bloß nicht daran erinnern. Hatte
vielleicht im Halbschlaf ein Gespräch zwischen den anderen mitbekommen – wer
weiß. Auf jeden Fall war das wahrscheinlicher, als von einem Totengeist
angefallen zu werden. Das Wichtigste war jetzt, sich nicht von Fantastereien à
la Hollywood vereinnahmen zu lassen. Sonst würde er in ein paar Tagen als
kreischender Irrer durch Orolo springen. Also, zurück zum Alltag. Tun, was
anlag. Die Reste seines Verstandes beisammenhalten und sich auf das Wesentliche
konzentrieren. In seinem Fall hieß das: Geld verdienen. Geld war der Schlüssel
für die Rückkehr in die Normalität. Es war an der Zeit, die Hakemi-Sache
endlich ernsthaft anzugehen.
Nach dem Frühstück machten sie sich an den
beschwerlichen Abstieg aus dem Hochland hinunter in die Ebene von Kebernett.
Stundenlang kämpften sie auf den Galiziaks und mit den Gilwisseln, um das
halsbrecherische Gefälle zu bewältigen. Jeder Mann, der nicht selbst auf dem
Galiziak oder einer Kutschbank saß, musste bei den Seilen mit anpacken. Mit
denen hinderten sie die Wagen daran, einfach kopfüber hinunter ins Tal zu
schießen. Das war echte Knochenarbeit, bei der für Empfindlichkeiten kein Platz
blieb.
Erst als sie am späten Nachmittag endlich Ismikkin
erreichten, fiel der Gedanke an Amelia Birchiter und den Forlorner ihn wieder
an wie ein wütender Köter. So musste sich ein Patient fühlen, dem man eine
schlimme Diagnose gestellt hat. Vom Mittagsjäger erwischt. Von Träumers Schlag
getroffen. Nur die Truppe bewahrte ihn davor, hilflos in seinem Elend zu
versinken. Keiner der drei, die gestern mit dabei gewesen waren, hatte geredet.
Anstatt gemieden zu werden, bekam er an diesem Abend ein Geschenk. Als hätte
sie seine Gedanken gelesen, überreichte ihm Haminta lächelnd einen
laptopgroßen, verschließbaren Holzkasten – das Wahrzeichen eines jeden Hakemi.
Wo sie ihn herbekommen hatte, verriet sie nicht, und sie wollte auch keinen
einzigen Chaval dafür. Er bedankte sich und beschloss, dieses Geschenk als ein
Zeichen dafür zu sehen, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Als Hakemi
würde er das Geld verdienen, das sie zurückbringen würde. Während die Truppe
sich rings um ihn her wieder in ihre üblichen Abendbeschäftigungen stürzte,
begann er ernsthaft mit dem Studium des Heilbuches von Bin-Addali. Der
Kräuterkasten würde nicht lange leer bleiben.
4
Gerringer
verließ den Stern am folgenden Morgen, um mit Inglewing zusammen nach
Kebernett vorauszufahren, wo sie beide „Dinge zu erledigen“ hätten.
Glücklicherweise fragte keiner genauer nach; stattdessen bekam Inglewing noch
Aufträge von den Montagus mit auf den Weg. Der Chef hatte schon klargestellt,
dass die Truppe aufgrund ihrer Verspätung Kebernett keinen Besuch mehr abstatten
würde. James sah den Jäger mitsamt seinem stinkenden Rucksack entschwinden und
fühlte sich erleichtert, als würde er Spuk und Aberglauben mit sich nehmen.
Der Stern von Montagu zog in seinem eigenen
Tempo hinterher. Den ganzen Tag marschierten sie über die von den grauen Bergen
umgebene Ebene von Kebernett, während vom Bult Gewitterwolken herantrieben und
sich mit gleißend blauem Himmel und stechendem Sonnenlicht abwechselten. Die
Stimmung in der Truppe war unruhig. Nachdem sie das Hochland von Orolo nun
hinter sich hatten, rückten Gassapondra und der Markt auf einmal ganz nahe. Und
für den großen Auftritt dort war anscheinend noch eine Menge Vorbereitung
nötig. So ließ Brogue seine Musiker unterwegs stundenlang spielen. Wenn die
anderen Instrumente einmal schwiegen, war immer noch die Trommel zu hören. Den
ganzen langen Tag über marschierte Firn vorneweg und trommelte – eine Strafe
vielleicht, James wusste es nicht. Er ging einfach immer weiter und merkte, wie
der Schlag der Trommel sein Getrampel auf dem Galiziak und später sein
Marschtempo bestimmte, wie der Takt sich unmerklich in seinen Herzschlag
schlich und ein Gefühl von Unausweichlichkeit immer mehr Besitz von ihm
ergriff. So mussten sich Soldaten früher gefühlt haben, wenn sie in den Krieg
zogen: unaufhaltsam vorangetrieben von Trommel und Feldmusik, bis schließlich
sogar das Blut im gleichen Takt zu fließen schien und man nur noch vorwärts und
weiter und immer weiter ging, gleichgültig, wohin und ob es in den Tod gehen
mochte. Und man empfand sogar noch eine erbärmliche,
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