Formbar. Begabt
tatsächlich früh ins Bett gegangen bin. Ich glaube, ich habe von Kaffeetassen geträumt. Scheinbar beschäftigt mich eine gewisse Begebenheit mehr, als ich zugeben möchte. Dementsprechend schlecht bin ich gelaunt, als ich mich für die Schule fertig mache.
Kein Stress! Möglicherweise hat Jan nicht einmal gesehen, dass mir dieser kleine Unfall passiert ist. Immerhin saß ich in der Kaffeebar, während er vor dem Fenster stand. Falls ich jedoch aufgefallen bin, sollte ich ihm sinnvollerweise in naher Zukunft nicht über den Weg laufen. Das wird sich als sehr schwierig gestalten, denn spätestens auf der Party werde ich ihn höchstwahrscheinlich wiedersehen. Vielleicht ergibt sich eine unverfängliche Gesprächsmöglichkeit.
Miris Eltern werden dieses Jahr bereits am Freitagmittag statt wie in den Jahren zuvor am Samstagmorgen in Urlaub fahren. Ihrer Meinung nach ist das Töchterchen mit sechzehn Jahren verantwortungsbewusst genug, alleine zu feiern. Ist wohl besser für ihr Seelenheil, dass die Partyvorbereitungen an ihnen vorbeigehen. Miri hat nicht nur Unmengen an Alkohol geordert, sondern auch diversen Oberstufenschülern eine Zusage entlockt. Diese Party wird definitiv anders als die bisherigen. Vielleicht kann ich Denise etwas in ihren Drink schütten und dann Jan abschleppen?
Dummerweise habe ich für die Umsetzung dieses Plans weder die nötige kriminelle Energie noch eine Bezugsquelle für den entsprechenden Stoff. Eigentlich schade.
Den Schulweg über schwelge ich in verbrecherischen Fantasien, die ein abruptes Ende finden, als ich kurz vor der Pausenhalle einen Blick auf Jan erhaschen. Er steht mit dem Rücken zu mir im Flur, sodass ich ihn in Ruhe beobachten kann.
Dieser Typ ist einfach phänomenal. Er trägt schwarze Boots zu enganliegenden Jeans und einem dunklen T-Shirt, welches seine muskulösen Oberarme gut zur Geltung bringt. Seine dichten, schwarzen Haare wirken etwas zerzaust, jedoch vermute ich, dass er sie mit ein wenig Gel bewusst in diese Form gebracht hat. Es sieht einfach zu gut aus, um keine Absicht zu sein. Jetzt dreht er mir das Profil zu. Ich kann seine gerade Nase und die markanten Wangenknochen erkennen, die ihm einen exotischen Ausdruck verleihen und mich geradezu magisch anziehen.
Nein! Ich werde mich nicht in einen Klischeeberg stürzen!
Sehr erfolgreich, das muss ich schon sagen. Nicht nur, dass ich völlig in die Betrachtung dieses Typen vertieft bin! Nein, ich gebe eine genaue Beschreibung seines Aussehens und nutze zu allem Überfluss auch noch das Wort »magisch«. Mit schlechtem Gewissen himmle ich ihn weiter an, versuche aber die zahlreichen schmückenden Adjektive, die mir bei der Betrachtung in den Sinn kommen, nicht zu erwähnen.
Noch bevor ich meinen unbeabsichtigten Starrangriff beenden kann, dreht sich Jan langsam in meine Richtung und sein stahlblauer Blick bohrt sich in meinen. Unwillkürlich halte ich die Luft an, nicht fähig, die Verbindung zu lösen. Er verzieht keine Miene. Nichts an ihm lässt erkennen, ob er sich an das Intermezzo in der Kaffeebar erinnert. Regungslos verharre ich in meiner Position und versuche krampfhaft, standzuhalten. Auf keinen Fall werde ich als Erste aufgeben, auch wenn er mir in diesem Moment alles abverlangt. Doch dann verliere ich aus unerfindlichen Gründen kurzzeitig die Kontrolle über meine Mimik. Ich lächle ihn schüchtern an. Seine Lippen verziehen sich zu einem kaum merklichen, abfälligen Grinsen. Er blickt mich kalt an, dreht sich weg und beginnt ein Gespräch mit seinen Freunden, während ich entsetzt versuche, das Ausmaß der Blamage zu bewerten.
Ich ergreife die Flucht.
So peinlich!
Wie ein hypnotisiertes Kaninchen habe ich ihn angestarrt und darauf gewartet, dass er mich verschlingt. – Metaphorisch gesprochen. Und dann setze ich dem Ganzen die Krone auf, indem ich ihn anlächle. Ich kenne ihn doch gar nicht! Was habe ich mir dabei gedacht? Mit diesem dämlichen Grinsen habe ich endgültig unter Beweis gestellt, dass ich exakt der Klischeevorstellung eines verliebten Teenagers entspreche. Wieso konnte ich nicht souverän reagieren und mich einfach wegdrehen?
Im Nachhinein empfinde ich die Situation als derartig beschämend, dass Viv zu Beginn der ersten Stunde ein Häufchen Elend an unserem Tisch vorfindet. Weder Trost noch verständnisvolle Worte können mir weiterhelfen.
Ich schäme mich so.
Im Kopf spiele ich verschiedene Szenarien durch und quäle mich mit alternativen Reaktionen, die allesamt besser
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