Fortinbras ist entwischt
schon eine viertel Meile vom Hause entfernt zielstrebig der offenen See entgegen.
«Das Boot», schrie er, «das Boot, das Boot ist fort!»
Die beiden Frauen kamen an die Tür. «Da haben Sie es wohl nicht ordentlich festgemacht», sagte Mrs. Darling.
«Doch, das habe ich ganz bestimmt getan», sagte er. Es klang aber gar nicht so überzeugt.
«Haben Sie denn einen richtigen Schifferknoten gemacht?»
Jocelyn, der einen Schifferknoten nicht von einer Schleife unterscheiden konnte, nickte schuldbewußt. «Was nützt das Lamentieren, wenn die Katze den Bach runter ist», sagte Mrs. Darling energisch. «Also, was schlagen Sie nun vor?»
Jocelyn schlug gar nichts vor. Da war nichts mehr vorzuschlagen. Es war ein Problem, für das es keine Lösung gab. «Wir könnten die Polizei anrufen, wenn das Telefon nicht gestört wäre», sagte er, merkte aber sofort, daß diese Feststellung niemanden zu beglücken schien.
«Wenn, wenn, wenn...» sagte Mrs. Darling. «Hier können wir aber auch nicht bleiben, es gibt weder Licht noch Heizung, noch Kochmöglichkeiten. Wir müssen also hier heraus, aber wie?»
«Wir könnten winken, damit sie bei mir zu Hause auf uns aufmerksam werden.»
«Sehr gut! Aber haben Sie denn noch ein Boot?»
«Nein, aber Sie könnten die Polizei anrufen.»
«Sicher, wenn Ihr Telefon funktionieren würde. Tut es das?»
«Das weiß ich freilich auch nicht», sagte Jocelyn. Ich will nach Hause, dachte er. Das ist alles, was ich will. Aber ich sehe keine Möglichkeit, dorthin zu gelangen. Ich werde hier Tage und Wochen verbringen müssen, eingesperrt mit zwei fremden Frauen. Und alles durch meine Schuld, bloß weil ich keinen Schifferknoten von einer Schleife unterscheiden kann. Und May, deren Barometer sowieso schon auf Sturm steht, May wird vollends aus dem Häuschen geraten.
Mrs. Twegg sagte: «Als wir klein waren, Mr. Pentecost, haben wir aus Ihrem Obstgarten Äpfel stibitzt.»
«Das macht doch nichts», sagte Jocelyn, «es war auch gar nicht unser Obstgarten. Wir wohnen hier erst seit einem Jahr.»
«Dann sind wir, damit uns niemand sieht, jenseits des alten Hügelpfads zurückgeschlichen.»
«Sagten Sie Hügelpfad?» fragte Mrs. Darling alarmiert.
«Ja gewiß, er führt doch direkt hinten an Ihrem Garten vorbei.»
«Vielen Dank, Mrs. Twegg, das vereinfacht die Dinge natürlich. »
«Wieso?» fragte Jocelyn.
«Der Hügelpfad, Mr. Pentecost», sagte Mrs. Twegg, «steht vermutlich nicht so tief unter Wasser. Den sollten wir entlanggehen können. »
«Großer Gott», sagte Jocelyn. Den Hügelpfad mochte er besonders gern. Er pflegte dort an Sommerabenden spazierenzugehen, diesem Pfad in die Vergangenheit zu folgen, zu den Anfängen der Menschheit; stolze Römer sah er dann auf ihm, die auf das eroberte Land herabblickten, Römer, die denselben Weg gingen wie er, zwischen blühendem Ginster, Farnkraut und Spuren im Sand. So hatte er es sich immer wieder ausgemalt. Der Hügelpfad gehörte zu seinem Leben und Denken. Und doch war er nicht darauf gekommen, daß er sich ihnen in diesem Augenblick als natürlicher, gottgegebener Fluchtweg anbot. Sein Selbstbewußtsein, das er bereits auf dem Tiefpunkt geglaubt hatte, sank noch um ein Beträchtliches.
«Liebling, entschuldige», sagte May, «ich bin wirklich ein Biest gewesen. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren war.»
Er legte liebevoll den Arm um die vertraute Taille. Nun konnte nichts mehr schiefgehen. «Schon gut», sagte er, «ich bin ja wohl auch nicht ganz unschuldig daran gewesen.» Alles ließ sich ertragen, solange May und er sich verstanden.
«Erzähl mir doch, was alles passiert ist», sagte sie.
Er berichtete. «Es tut mir leid, daß ich dir auch noch Mrs. Twegg aufgehalst habe», sagte er zum Schluß, «aber du siehst hoffentlich ein, daß auch sie wahrscheinlich bleiben muß.»
«Ja, natürlich. Wer ist sie eigentlich?»
«Ich glaube, die Arme ist Witwe, eine ganz lustige offenbar. Ach ja, und donnerstags besucht sie einen Kurs für angehende Schriftsteller.»
«Liebling, dann wird sie dir ja bald helfen können.»
«Ja, ich habe schon viel von ihr gelernt», sagte Jocelyn.
Das Abendessen war vorbei. Der Tag, o Herr, den Du werden ließest, geht zu Ende! dachte Jocelyn, als er sich in seinem Stuhl vor dem Schreibtisch zurechtsetzte. Und was für ein Tag! Er knipste die Schreibtischlampe an. Er konnte sich nicht erinnern, je in seinem Leben so müde gewesen zu sein. Aber er mußte noch ein paar Seiten
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