Fortinbras ist entwischt
einen Sessel sinken, und wieder entspannt, sagte er: «Wir hatten eine besonders nette Unterhaltung. Bei einem Glas Sherry vor dem Essen.» Er seufzte. «Arme Helena! Ganz allein auf der Welt, außer diesem Neffen am Limpopo.» Er hob sein Glas und hielt es gegen das Licht. «Sie gehört zu den Frauen, die genau wissen, was sie wollen. Solche Frauen bewundere ich immer.» Er nippte am Glas, so als bringe er damit eine stumme Huldigung dar.
Alle Müdigkeit Jocelyns schien plötzlich verflogen. Er starrte seinen Vater mit wachsendem Entsetzen an. Hier zeigten sich doch wohl bedrohliche Symptome. Das sonst so widerspenstige Haar war schön glatt gebürstet, der gewöhnlich nicht eben gepflegte Schnurrbart war adrett gestutzt, der Schlips, nicht selten ein unordentlicher Knoten, saß betont korrekt. Jocelyn leerte sein Glas in einem Zug und stand auf. «Gute Nacht, Vater.»
Opa sah ihn leicht erstaunt an. «Ach, du gehst schon? Gute Nacht, mein Junge.» Er verlor sich in Träumen.
Jocelyn stürzte ins Schlafzimmer. «May!»
May war bereits im Bett. «Ich schlafe schon», sagte sie frostig.
Er setzte sich zu ihr aufs Bett. «May! Jetzt ist nicht der rechte Moment, um uns zu streiten. Wir müssen Zusammenhalten.»
Sie hatte sich zusammengerollt wie ein auf Abwehr bedachter Igel. Jetzt drehte sie sich herum und sah ihn an. «Wovon in aller Welt sprichst du überhaupt?»
«Von Vater. Er hat sich in die Darling verknallt. Er hat einen Glanz in den Augen, der nichts Gutes verspricht. Wir müssen uns auf allerhand gefaßt machen.»
Sie richtete sich auf und sagte: «Das bildest du dir nur ein. Sie sind beide über sechzig.» Das klang allerdings nicht sehr überzeugt.
«Das ist ja der Haken», sagte er. «Vater ist viel zu vernünftig, um auf eine Junge hereinzufallen. Aber überleg dir einmal, was die Darling ihm alles zu bieten hat: Gesellschaft, behagliche Abende am Bridgetisch und vielleicht das allerwichtigste - einen Dickschädel wie seinen eigenen. Sie könnten nach Herzenslust miteinander streiten.»
«Mein Gott, das gäbe Mord und Totschlag!» sagte May. «Und Vater würde es womöglich noch genießen!» Sie umschlang ihre Knie. «Liebling, ich finde, das klingt alles erschreckend einleuchtend.»
Das Wort ermutigte ihn, ihre Hand zu ergreifen. «Vereint siegen wir», sagte er, «getrennt sind wie geschlagen.» Er küßte sie. Sie erwiderte seinen Kuß zerstreut. Wie immer waren ihre Gedanken den seinen weit voraus. «Ich frage mich, wo sie dann wohnen wollen», sagte sie. «Hier oder im ?»
«Vater würde hier nie ausziehen.»
«Dann müssen wir gehen. Wenn wir bleiben, trägst du innerhalb einer Woche Schirmmütze und Livree.»
Sein Blick verdüsterte sich. «Und unsere Ehe geht in die Brüche, verflixt noch mal! Wir sind heute schon zweimal uneins gewesen, und dabei ist sie doch erst seit zwölf Stunden hier.» Er blickte noch finsterer drein. «Aber wir könnten ja gar nicht von hier fortziehen, wir haben einfach nicht das Geld dazu, uns woanders einzurichten. Dazu bringen meine Bücher einfach nicht genug ein.»
Sie wußte nur zu gut, wie recht er damit hatte. Einem Schriftsteller wird mancherlei Lohn zuteil, aber selten in finanzieller Hinsicht. Die Wahl fiel schwer: entweder ein Leben mit Mrs. Darling in den oder eine dürftige Dachstuben-Existenz. Unsinn, dachte sie, wir lassen uns zu schnell ins Bockshorn jagen. Sie schlang die Arme um den Nacken ihres Mannes und küßte ihn. Sie hatten sich wieder, das war die Hauptsache. «Komm zu Bett», sagte sie. «Uns wird schon noch etwas einfallen.»
«Dazu ist es zu spät.» Er löste seine Krawatte. «Die Lunte brennt schon. Du kennst ja Vater. Wir könnten ebensogut versuchen, den London-Rom-Expreß aufzuhalten.»
«Damit magst du recht haben», sagte sie und kuschelte sich an ihn. «Aber selbst der London-Rom-Expreß wird gelegentlich umgeleitet.»
«Was meinst du damit?» fragte er.
«Gar nichts», sagte sie, «viele Wege führen nach Rom.»
In der Regent Street entschloß sich Rufus Darling plötzlich, seinen Club in der Pall Mall aufzusuchen.
Er betrachtete den Verkehrsstrom. Im Vergleich dazu wirkte der gewaltige Limpopo, selbst bei Hochwasser, wie ein gemächlicher Fluß. Er suchte - das hatte er inzwischen gelernt - nach einem Zebrastreifen; Fußgänger überquerten ihn wie Tiere auf dem Weg zur Tränke. Er schloß sich ihnen an. Ein Taxi, dem offenbar an seinem Leben gelegen war, stellte sich
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