Fortunas Tochter
mehrere Wochen herumgezogen, und sie haben mich in ihre Vorstellungen einbezogen. Wenn wir ein Klavier zur Verfügung hatten, habe ich gespielt, sonst war ich die jugendliche Heldin der Truppe, und alle Welt wunderte sich, wie gut ich die Frauenrolle mimte. Ich mußte sie verlassen, weil mich diese ständige Konfusion verrückt machte, ich wußte nicht mehr, bin ich eine als Mann verkleidete Frau oder ein als Frau verklei– deter Mann oder eine Verirrung der Natur.«
Sie freundete sich mit dem Postreiter an, und wenn es möglich war, begleitete sie ihn, denn er kam rasch voran und kannte viele Leute; wenn irgend jemand Joaquín Andieta finden konnte, dann war er es, dachte sie. Der Mann brachte die Post zu den Goldgräbern und kehrte mit den Goldbeuteln zurück, um sie den Banken zur Aufbe– wahrung zu übergeben. Er war einer der Weitsichtigen, die am Goldfieber reich wurden, ohne je einen Spaten oder eine Spitzhacke in die Hände zu nehmen.
Er berechnete zweieinhalb Dollar, um einen Brief nach San Francisco zu bringen, und andererseits machte er sich das Verlangen der Miners, Nachrichten von zu Hause zu erhalten, zunutze und verlangte eine Unze Gold, damit er ihnen die Briefe überbrachte. Mit diesem Geschäft ver– diente er ein Vermögen, Kunden hatte er übergenug, und keiner beschwerte sich über die Preise, weil es keine andere Möglichkeit gab, sie konnten nicht gut die Mine verlassen eines Briefwechsels wegen oder um ihre Gewinne hundert Meilen weit zur Bank zu bringen.
Auch Eliza suchte Charleys Gesellschaft, er war ein Bürschchen, das voller Geschichten steckte und mit den mexikanischen Viehtreibern wetteiferte, die auf Maul– tieren Waren heranschafften. Zwar fürchtete er selbst den Teufel nicht, aber er war immer dankbar für Begleitung, weil er für seine Geschichten Zuhörer brauchte. Je länger Eliza ihn beobachtete, um so sicherer wurde sie, daß er eine verkleidete Frau war, wie sie. Charleys Haut war von der Sonne verbrannt, er kaute Tabak, fluchte wie ein Straßenräuber, trennte sich nie von seinen Pistolen und behielt immer die Handschuhe an, aber einmal konnte sie doch seine bloßen Hände sehen - und sie waren klein und weiß wie die einer jungen Dame.
Sie verliebte sich in die Freiheit. Bei den Sommers hatte sie zwischen vier Wänden gelebt, in einer ewig gleich– bleibenden Umwelt, wo die Zeit sich in Kreisen drehte und die Linie des Horizonts nur verschwommen durch sturmgepeitschte Fenster zu sehen war; sie war aufge– wachsen in dem Korsett der guten Manieren und der Konventionen, von Anfang an trainiert, zu gefallen und nützlich zu sein, eingeschnürt von gesellschaftlichen Normen und der Angst. Angst hatte regiert in diesem Haus: Angst vor Gott und seinem nicht vorhersehbaren Gericht, vor der Obrigkeit, vor ihren Adoptiveltern, vor Krankheit und übler Nachrede, vor dem Unbekannten und dem Abweichenden, Angst, den Schutz des Hauses zu verlassen und sich den Gefahren der Straße zu stellen; Angst vor der Entehrung und der Wahrheit. Und auch Angst vor ihren Adoptiveltern. Es war eine gezuckerte Wirklichkeit gewesen, aus lauter Vertuschen, höflichem Verschweigen, gut gehüteten Geheimnissen, Ordnung und Disziplin. Immer hatte sie alles »richtig« machen sollen und wollen, aber jetzt zweifelte sie am Sinn dieses Wortes. Als sie sich im Zimmer der Schränke Joaquín Andieta hingab, hatte sie in den Augen der Welt einen nicht wiedergutzumachenden Fehler begangen, aber in ihren eigenen rechtfertigte die Liebe alles. Sie hatte Chile mit dem Vorsatz verlassen, ihren Liebsten zu finden und für immer seine Sklavin zu werden, weil sie geglaubt hatte, damit das geheime Verlangen nach Unterwerfung und Genommenwerden zu stillen, aber nun fühlte sie sich außerstande, auf diese neuen Flügel zu verzichten, die ihr zu wachsen begannen. Weder klagte sie um das, was sie mit ihrem Geliebten geteilt hatte, noch schämte sie sich des Feuers, das sie so verwandelt hatte, im Gegenteil, sie spürte, daß es sie ein für allemal stark gemacht hatte, ihr Stolz gegeben hatte, um Entscheidungen zu treffen und die Folgen zu tragen. Sie schuldete niemandem Erklärungen, wenn sie Fehler begangen hatte, war sie mehr als genug bestraft durch die abrupte Trennung von ihrer Familie, die Folter jener Gruft im Schiffsbauch, ihr totes Kind und die völlige Ungewißheit der Zukunft. Als sie schwanger wurde und sich gefangen sah, schrieb sie in ihr Tagebuch, sie habe das Recht auf Glück verwirkt, dennoch hatte
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