Fortunas Tochter
sie in diesen letzten Monaten, in denen sie durch die Goldlandschaft von Kalifornien ritt, das Gefühl gehabt, zu fliegen wie ein Kondor. Sie erwachte eines Morgens vom Wiehern ihres Pferdes und dem Licht des Sonnenaufgangs im Gesicht, sah sich umgeben von stolzen Sequoias, die als vielhundertjährige Wächter ihren Schlaf behütet hatten, sie erblickte sanfte Hügel und in der Ferne hohe dunkelviolette Gipfel; da durchströmte sie ein atavisti– sches Glücksgefühl, wie sie es nie zuvor empfunden hatte. Sie merkte, daß sie nicht mehr diese Panik verspürte, die ihr immer am Mageneingang gesessen hatte wie eine Ratte, die bereit ist zuzubeißen. Die Ängste hatten sich aufgelöst in der überwältigenden Großartigkeit dieses Landes. Je mehr Gefahren sie die Stirn bot, um so mehr Verwegenheit flog ihr zu: sie hatte die Angst vor der Angst verloren. »Ich entdecke neue Kräfte in mir, die ich vielleicht immer besaß, aber nicht kannte, weil ich sie nie hatte beweisen müssen. Ich weiß nicht, an welcher Wegbiegung mir die Person verlorenging, die ich früher war, Tao. Jetzt bin ich einer mehr unter den unzählbaren Abenteurern, die über die Ufer dieser klaren Flüsse und die Hänge dieser ewigen Berge verstreut sind. Es sind stolze Männer mit nichts als dem Himmel über sich, die sich vor niemandem beugen, weil sie dabei sind, die Gleichheit zu erfinden. Und ich will einer der Ihren sein. Einige schreiten siegreich daher mit einem Beutel voll Gold auf dem Rücken, andere, Besiegte, schleppen an ihren verlorenen Illusionen und ihren Schulden, aber alle fühlen sich als Herren ihres Schicksals, Herren der Erde, über die sie gehen, Herren der Zukunft und ihrer eigenen unverlierbaren Würde.
Nachdem ich sie kennengelernt habe, kann ich nie wieder eine junge Dame sein, wie Miss Rose es verlangte.
Endlich verstehe ich Joaquín, wenn er unserer Liebe kostbare Stunden raubte, um zu mir von Freiheit zu sprechen. Das war es also… Es war diese Euphorie, dieses Licht, dieses Glück, das so stark war wie das der knapp bemessenen Augenblicke unserer Liebe, an die ich mich erinnere. Ich vermisse Dich, Tao. Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann über das, was ich sehe, über das, was ich fühle. Ich habe keinen Freund in dieser Einsamkeit, und in meiner Männerrolle muß ich sehr genau aufpassen, was ich sage. Ich runzle schon immer die Stirn, damit sie mich für mächtig männlich halten. Es ist sehr lästig, ein Mann zu sein, aber eine Frau zu sein ist noch viel lästiger.«
Beim Umherstreifen durch das unwegsame Gelände lernte sie es so gut kennen, als wäre sie hier geboren, lernte sich zurechtfinden und Entfernungen abschätzen, die Giftschlangen von den harmlosen unterscheiden und feindselige Gruppen von freundlich gesinnten, konnte nach der Form der Wolken das Wetter von morgen vorhersagen und die Stunde des Tages nach dem Winkel ihres Schattens bestimmen, wußte, was man machte, wenn einem ein Bär über den Weg trottete, und wie man sich einer einsamen Hütte näherte, wenn man nicht mit Schüs– sen empfangen werden wollte. Bisweilen traf sie auf frisch angekommene junge Leute, die komplizierte Bergbauma– schinen hügelaufwärts zerrten, um sie später als unbrauch– bar irgendwo liegenzulassen; hin und wieder kreuzten auch Gruppen fieberkranker Männer ihren Weg, die von den Bergen herabkamen nach Monaten fruchtloser Arbeit. Ein Bild konnte sie nicht vergessen: jenen von den Vögeln zerhackten Leichnam, der an einer Eiche hing mit einem warnenden Schild auf der Brust… Auf ihrem endlosen Erkundungsritt sah sie Nordamerikaner, Europäer, Süd– seeinsulaner, Mexikaner, Chilenen, Peruaner, auch lange Züge von schweigenden Chinesen unter dem Befehl eines Aufsehers, der, obwohl derselben Rasse zugehörig, sie wie Sklaven behandelte und mit Brosamen bezahlte. Sie trugen ein Bündel auf dem Rücken und Stiefel in der Hand, weil sie immer in Pantoffeln gegangen waren und das Gewicht an den Füßen nicht aushielten. Es waren sparsame Leute, sie lebten von so gut wie nichts und gaben so wenig wie möglich aus, sie hatten die Stiefel recht groß gekauft, weil sie glaubten, die wären wertvoller, und staunten über die Maßen, als sie erfuhren, daß der Preis für die kleineren der gleiche war.
Eliza lernte in den Tag hinein zu leben, ohne Pläne zu machen, wie Tao ihr geraten hatte. Sie dachte oft an ihn und schrieb ihm fortlaufend, aber sie konnte die Briefe nur abschicken, wenn sie in ein Dorf kam, wo es
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