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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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seither hatte er so viel Wasser, Land und Zeit hinter sich gelassen, daß Lin sicherlich verwirrt umherirrte. Er stellte sich vor, wie ihr lieblicher Geist ihn auf diesem weiten Kontinent suchte und doch nicht finden konnte. Auf Anregung des zhong yi ließ er von einem kürzlich aus Shanghai eingetroffenen Künstler ein Bild von ihr malen, aber obwohl der, ein wahres Genie der Tätowierung und der Porträtzeichnung, genau seiner eingehenden Beschreibung folgte, wurde das Ergebnis doch Lins transparenter Schönheit nicht gerecht. Tao Chi’en baute mit dem Bild einen kleinen Altar auf und setzte sich davor, um sie zu rufen. Er konnte nicht begreifen, wieso die Einsamkeit, die er früher als Segen und Luxus empfunden hatte, ihm nun unerträglich wurde. Das schlimmste Übel in seiner Matrosenzeit war es gewesen, daß er über keinen eigenen Raum für Frieden und Stille verfügt hatte, aber jetzt, wo er ihn hatte, wünschte er sich Gesellschaft. Dennoch erschien ihm der Gedanke, sich eine Braut schicken zu lassen, unsinnig. Einst hatten die Geister seiner Vorfahren ihm eine vollkommene Ehefrau besorgt, aber hinter diesem scheinbaren Glück war ein Fluch verborgen gewesen.
    Er hatte die gleichgestimmte Liebe kennengelernt, und nie würden die Zeiten der Unschuld wiederkehren, als ihm jede Frau mit kleinen Füßen und gutem Charakter ausreichend schien. Er glaubte, er sei verdammt, allein und nur mit der Erinnerung an Lin zu leben, denn keine andere könnte ihren Platz würdig ausfüllen. Er wollte weder eine Dienerin noch eine Konkubine. Nicht einmal die Notwendigkeit, Söhne zu haben, damit sie seinen Namen ehrten und sein Grab pflegten, spornte ihn an. Er versuchte es seinem Freund zu erklären, aber seine Zunge geriet ins Stolpern, er fand in seinem Vokabular keine Worte, um diesen Kummer auszudrücken.
    Die Frau ist ein nützliches Wesen für die Arbeit, die Mutterschaft und das Vergnügen, aber keinem intelli– genten, kultivierten Mann würde es einfallen, sie zu seiner Gefährtin zu machen, hatte sein Freund gesagt, das einzige Mal, als er ihm seine Gefühle anvertraute. In China genügte ein Blick auf die allgemeinen Verhältnisse, um solchen Gedankengang zu verstehen, aber in Amerika schienen die Beziehungen zwischen Eheleuten anders zu sein. Vor allem hatte kein Mann Nebenfrauen, zumindest nicht öffentlich. Die wenigen fan gui -Familien, die Tao Chi’en in diesem Land der alleinstehenden Männer kennengelernt hatte, waren für ihn undurchschaubar. Er konnte sich ihr häusliches Miteinander nicht vorstellen, da doch die Männer offensichtlich die Frauen als ihres– gleichen ansahen. Es war ein Geheimnis, das zu enträtseln ihn sehr interessiert hätte wie so viele andere in diesem außergewöhnlichen Land.
    Die ersten Briefe Elizas kamen in dem Restaurant an, und da man Tao Chi’en in der chinesischen Gemeinde kannte, wurden sie ihm schnellstens ausgehändigt. Diese mit vielen Schilderungen gespickten Schreiben waren seine beste Gesellschaft. Er war verblüfft über die Zärtlichkeit, mit der er an Eliza dachte, denn er hätte nie geglaubt, daß Freundschaft mit einer Frau möglich sei und schon gar nicht mit einer, die einer anderen Kultur angehörte. Er hatte sie fast immer in Männerkleidern gesehen, aber sie war ihm ausgesprochen weiblich erschienen, und es wunderte ihn, daß alle ihr jetziges Aussehen hinnahmen, ohne Fragen zu stellen. »Die Männer schauen sich Männer nicht groß an, und die Frauen halten mich für einen verweichlichten Jungen«, hatte sie ihm in einem Brief geschrieben. Für ihn dagegen war sie das weißgekleidete Mädchen, dem er in einer Fischerhütte in Valparaíso beim Ablegen des Korsetts geholfen hatte, die Kranke, die sich im Laderaum des Schiffes vorbehaltlos seiner Behandlung überlassen hatte, der warme Körper, in eisigen Nächten unter einem Segeltuchdach an den seinen geschmiegt, die fröhliche Stimme, die beim Kochen vor sich hin sang, und die ernste Miene, wenn sie ihm half, die Verletzten zu versorgen. Er sah sie nicht mehr als Mädchen, sondern als Frau trotz ihres mageren Körpers und ihres Kindergesichts. Er dachte daran, wie verändert sie aussah, als sie sich die Haare abgeschnitten hatte, und er bereute, daß er ihren Zopf nicht aufgehoben hatte, wenigstens könnte er ihn jetzt in den Händen halten, um die Gegenwart dieser ungewöhn– lichen Freundin heraufzubeschwören.
    Aber diesen Gedanken schob er schleunigst beiseite als eine beschämende Bekundung von

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