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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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London der Chirurgie verschrieben, obwohl sein eigenes Anliegen den Geisteskrankheiten galt, ein von der wissenschaftlichen Wißbegier noch kaum erkundetes Gebiet.
    Tao hatte vor, in Dai Fao, der »großen Stadt«, wie die Chinesen San Francisco nannten, eine Zeitlang zu arbeiten und sich dann nach China einzuschiffen, falls Ebanizer Hobbs nicht bald seinen letzten Brief beantwortete. Er war erstaunt, wie sehr San Francisco sich in wenig mehr als einem Jahr verwandelt hatte. Statt des geräuschvollen Feldlagers aus Bretterhütten und Marktbuden, wie er es gekannt hatte, empfing ihn eine Stadt mit gut trassierten Straßen und mehrstöckigen Gebäuden, wohlorganisiert und aufblühend, und überall erhoben sich neue Wohn– häuser. Ein verheerendes Feuer hatte drei Monate zuvor mehrere Häuserblocks vernichtet, von denen man immer noch verkohlte Reste sehen konnte, aber kaum war die glühende Asche abgekühlt, waren schon alle mit dem Hammer dabei, das Zerstörte neu aufzubauen. Es gab Luxushotels mit Veranden und Baikonen, Kasinos, Bars und Restaurants, elegante Kutschen und Menschen aus aller Herren Ländern, schlecht gekleidet und häßlich anzusehen, unter denen die Zylinderhüte einiger weniger Dandys hervorstachen. Der Rest waren bärtige, unge– waschene Burschen, die wie Gauner aussahen, aber hier war keiner das, was er zu sein schien, der Stauer am Kai mochte ein lateinamerikanischer Aristokrat sein und der Kutscher ein Anwalt aus New York. Sprach man mit einem dieser Galgenvogeltypen, konnte man sehr bald einen gebildeten, wohlerzogenen Mann hinter der groben Fassade entdecken, der beim geringsten Anlaß einen zerknitterten Brief seiner Frau aus der Tasche zog, um ihn mit Tränen in den Augen zu zeigen. Und auch das Gegenteil kam vor: unter dem gut geschnittenen Anzug des herausgeputzten Stutzers verbarg sich ein Schuft. Schulen fand Tao nicht auf seinem Weg durch das Stadtzentrum, statt dessen sah er Kinder, die wie Erwachsene arbeiteten, Gruben aushoben, Ziegelsteine schleppten, Maultiere trieben und Schuhe putzten, aber kaum blies eine kräftige Brise vom Meer herüber, rannten sie davon, um Drachen steigen zu lassen. Später erfuhr er, daß viele Waisen waren, in Banden durch die Straßen zogen und alles Eßbare stahlen, um zu überleben. Frauen waren noch immer spärlich gesät, und wenn eine anmutig über die Straße schritt, blieb der Verkehr stehen, um sie vorbeizulassen. Am Fuß des Telegraph Hill, auf dem ein Signalmast stand, von dem aus mit Fahnen die Herkunft des in die Bucht einlaufenden Schiffes signalisiert wurde, erstreckte sich ein aus mehreren Häuserblocks bestehender Stadtteil, in dem es nicht an Frauen fehlte: das war das Rotlichtviertel, das von Zuhältern aus Australien, Tasma– nien und Neuseeland beherrscht wurde. Tao Chi’en hatte von ihnen gehört und wußte, daß das keine Gegend war, in die sich ein Chinese nach Sonnenuntergang allein hinein– wagen durfte. Als er die Läden durchstöberte, stellte er fest, daß der Handel die gleichen Waren anbot, wie er sie in London gesehen hatte. Alles kam übers Meer, auch eine Ladung Katzen, die den Ratten den Garaus machen sollten und die eine nach der andern wie Luxusartikel verkauft wurden. Der Mastenwald von den aufgegebenen Schiffen in der Bucht war auf ein Zehntel zusammengeschrumpft, weil viele versenkt worden waren, um ihren Liegeplatz mit Erdreich aufzufüllen und darauf zu bauen, andere waren in Hotels, Lagerschuppen oder Gefängnisse umfunktioniert worden, eines sogar zu einer Anstalt für Geisteskranke, wo die Unglücklichen zum Sterben hingebracht wurden, die sich in den unheilbaren Delirien des Alkohols verloren hatten. Sie wurde auch dringend benötigt, früher hatte man die Rasenden an die Bäume gebunden.
    Tao Chi’en wandte sich zum Chinesenviertel und stellte fest, daß die Gerüchte stimmten: Seine Landsleute hatten mitten in San Francisco eine vollständige Stadt aufgebaut, wo man Mandarin und Kantonesisch sprach, die Schilder chinesisch geschrieben waren und man allenthalben nur auf Chinesen traf: die Illusion, sich im Reich der Mitte zu befinden, war vollkommen. Er stieg in einem anständigen Hotel ab und bereitete sich darauf vor, hier in San Francisco so lange als Arzt zu praktizieren, wie nötig war, um zu ein wenig mehr Geld zu kommen, denn er hatte eine lange Reise vor sich. Jedoch etwas geschah, was seine Pläne über den Haufen werfen und ihn in dieser Stadt festhalten sollte. »Es war nicht mein Karma, in

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