Fortunas Tochter
passender Munition verschwinden. In drei aufeinanderfolgenden Nächten gelang es ihm, die Wachen zu umgehen, in den Speichern der British Trading Company einzubrechen und den Inhalt der Kisten zu stehlen. Dazu mußte er mehrmals gehen, denn es war eine schwere Last. Zuerst steckte er die Waffen in die Taschen oder band sie unter dem Anzug an Armen und Beinen fest; danach trug er die Munition in Beuteln fort. Fast wäre er dabei von den Wachen gesehen worden, die nachts ihre Runden gingen, aber das Glück war auf seiner Seite, und er konnte jedesmal rechtzeitig entwischen. Er wußte, es würden ein paar Wochen vergehen, ehe jemand die Kisten anfordern und der Raub entdeckt werden würde; er nahm aber auch an, daß es sehr leicht sein würde, der Spur von den verschwundenen Dokumenten und den geänderten Ziffern bis zum Schuldigen zu folgen, doch bis dahin, hoffte er, würde er längst auf hoher See sein.
Und wenn er erst seinen eigenen Schatz besaß, würde er alles bis zum letzten Centavo mit Zinsen zurückzahlen, denn der einzige Grund, eine solche Schandtat zu begehen, das wiederholte er sich tausendmal, war die Verzweiflung gewesen. Es war eine Frage von Leben oder Tod: das Leben, wie er es verstand, war in Kalifornien; an Chile gefesselt zu bleiben glich einem langsamen Tod. Er verkaufte einen Teil seiner Beute billig in den Hafenvierteln und den anderen unter seinen Freunden von der Buchhandlung Santos Tornero, nachdem er sie hatte schwören lassen, daß sie nichts verraten würden. Diese glühenden Idealisten hatten noch nie eine Waffe in der Hand gehabt, bereiteten sich aber schon seit Jahren mit Worten auf eine utopische Revolution gegen die konservative Regierung vor. Es wäre Verrat an den eigenen Vorsätzen gewesen, die Revolver aus der Hehlerware nicht zu kaufen, vor allem, wenn man den günstigen Preis bedachte. Joaquín Andieta behielt zwei Revolver für sich, und er war entschlossen, sie auch zu gebrauchen, falls er sich den Weg freischießen mußte, aber er erzählte den Kameraden nichts von seinen Plänen, nach Kalifornien zu gehen. In dieser Nacht mit ihnen im Hinterzimmer der Buchhandlung hob auch er die rechte Hand zum Herzen und schwor im Namen des Vaterlandes, er würde für Demokratie und Gerechtigkeit sein Leben hingeben. Am folgenden Morgen kaufte er eine Schiffs– karte dritter Klasse auf dem ersten Schoner, der demnächst auslaufen würde, und erstand einige Beutel mit geröstetem Mehl, Bohnen, Reis, Zucker, gedörrtem Pferdefleisch und Speckstreifen, ein Vorrat, der, sparsamst verteilt, ihn während der Überfahrt mit knapper Not bei Kräften erhalten würde. Die wenigen Reales, die er übrigbehielt, versteckte er in einer engen Binde um den Leib.
In der Nacht des 22. Dezember verabschiedete er sich von Eliza und seiner Mutter, und am Tag darauf reiste er ab in Richtung Kalifornien.
Mama Fresia entdeckte die Liebesbriefe durch puren Zufall, als sie in ihrem kleinen Gemüsegarten Zwiebeln ausgrub und ihre Hacke auf die Blechdose stieß. Sie konnte nicht lesen, aber ihr genügte ein Blick hinein, um zu begreifen, was das für Briefe waren. Sie war versucht, sie Miss Rose zu übergeben, denn sie brauchte sie nur in der Hand zu halten, um die Drohung zu spüren - sie hätte geschworen, daß das mit einer Schleife zusammen– gebundene Päckchen pulsierte wie ein lebendes Herz -, aber ihre Liebe zu Eliza war stärker als die Vernunft, und statt zu ihrer Herrschaft zu laufen, legte sie das Päckchen zurück in die Keksdose, versteckte sie unter ihrem weiten schwarzen Rock und ging seufzend zu dem Zimmer des Mädchens. Sie fand Eliza auf einem Stuhl sitzend, mit geradem Rücken und die Hände im Schoß, als säße sie in der Messe, und durch das Fenster aufs Meer blickend, so niedergeschlagen, daß der India die Luft ringsum wie verdichtet und voller Vorahnungen erschien. Sie legte dem Mädchen die Dose auf die Knie und wartete vergebens auf eine Erklärung.
»Dieser Mann ist ein Teufel. Er wird dir nur Unglück bringen«, sagte sie schließlich.
»Das Unglück hat schon angefangen. Er ist vor sechs Wochen nach Kalifornien gegangen, und mir ist die Regel ausgeblieben.«
Mama Fresia setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden, wie sie es immer tat, wenn sie nicht weiterwußte, und begann leise wimmernd den Oberkörper vor und zurück zu wiegen.
»Sei doch still, Mamita, Miss Rose könnte uns hören«, flehte Eliza.
»Ein Kind aus der Gosse, ein uneheliches Kind, ein Bastard! Was
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