Fortunas Tochter
hingerissen.
Am Nachmittag zu Hause verteilte der Kapitän zur Teestunde die Geschenke, die er mitgebracht hatte: englische Rasiercreme, einen Satz Toledaner Scheren und Havannas für seinen Bruder, Schildpattkämme und einen bestickten Seidenschal aus Manila für seine Schwester und, wie immer, ein Schmuckstück für Elizas Aussteuer. Diesmal war es eine Perlenkette, und das Mädchen bedankte sich artig und legte sie in ihre Schmuckschatulle, neben die anderen Schätze, die sie bislang schon erhalten hatte. Durch Miss Roses Hartnäckigkeit und Onkel Johns Großzügigkeit füllte die Hochzeitstruhe sich mit Kostbarkeiten.
»Die Sitte mit der Aussteuer finde ich blödsinnig, vor allem, wenn man noch gar keinen Bräutigam an der Hand hat«, sagte der Kapitän lächelnd. »Oder ist etwa schon einer am Horizont aufgetaucht?«
Das Mädchen wechselte einen erschrockenen Blick mit Mama Fresia, die eben mit dem Teetablett herein– gekommen war. Der Kapitän sagte weiter nichts, aber er fragte sich, wieso seine Schwester die Veränderungen nicht bemerkt hatte, die ihm sofort an Eliza aufgefallen waren.
Mit der weiblichen Intuition war es nicht weit her, wie man sah.
Der Abend verging mit den erstaunlichen Geschichten des Kapitäns über Kalifornien, wo er allerdings nach der unglaublichen Entdeckung noch nicht wieder gewesen war und über San Francisco nur sagen konnte, es sei ein eher elender Häuserhaufen, liege aber an der schönsten Bucht der Welt. Der Rummel um das Gold sei das einzige Thema in Europa und den Vereinigten Staaten und sogar bis an die fernen Ufer Asiens sei die Nachricht geschwappt. Sein Schiff war voll von Reisenden mit dem Ziel Kalifornien, die meisten ohne die elementarsten Kenntnisse vom Bergbau, viele, ohne je Gold gesehen zu haben, und sei es auch nur in einem Zahn. Es gab keine bequeme oder schnelle Art, nach San Francisco zu gelangen, die Schiffsreise dauerte Monate unter den mißlichsten Bedingungen, erklärte der Kapitän, aber quer durch den amerikanischen Kontinent, sofern man die unermeßliche Weite der Landschaft und die angriffs– lustigen Indianer nicht scheute, dauerte die Reise noch länger, und die Möglichkeiten, lebend durchzukommen, waren geringer. Die sich zu Schiff bis Panama wagten, überquerten die Landenge auf Kanus durch die von Ungeziefer verseuchten Flüsse und auf Maultieren durch den Urwald, und wenn sie an der Pazifikküste ankamen, nahmen sie ein Schiff hinauf zum Norden. Sie mußten teuflische Hitze, giftiges Gewürm, Moskitos, Cholera und Gelbfieber ertragen, abgesehen von der durch nichts zu übertreffenden menschlichen Schlechtigkeit. Die Reisen– den, die mit heiler Haut davonkamen, den Absturz ihres Reittiers in eine Schlucht und die Gefahren der Sümpfe überlebten, sahen sich auf der anderen Seite als Opfer von Banditen, die sie restlos ausplünderten, oder von Schlep– pern, die ihnen ein Vermögen abverlangten, um sie wie Vieh zusammengepfercht auf halb verrotteten ausran– gierten Schiffen nach San Francisco zu bringen.
»Ist Kalifornien sehr groß?« fragte Eliza, darauf bedacht, daß ihre Stimme nicht die Angst ihres Herzens verriet.
»Bring mir die Karte her, dann zeige ich es dir. Es ist viel größer als Chile.«
»Und wie kommt man zu dem Gold?«
»Es heißt ja, das Gold ist überall…«
»Aber wenn man, nur so zum Beispiel, eine bestimmte Person in Kalifornien finden will…«
»Das wäre ziemlich schwierig«, erwiderte der Kapitän und beobachtete neugierig Elizas Gesichtsausdruck.
»Segelst du auf deiner nächsten Reise da hinauf, Onkel?«
»Ich habe ein sehr verlockendes Angebot, und ich denke, ich werde es annehmen. Ein paar chilenische Investoren wollen einen regelmäßigen Fracht und Passagierdienst nach Kalifornien einrichten. Sie brauchen einen Kapitän für ihr Dampfschiff.«
»Dann werden wir dich ja öfter sehen, John!« rief Rose aus.
»Du hast keinerlei Erfahrung mit Dampfschiffen«, bemerkte Jeremy.
»Nein, aber ich kenne das Meer besser als irgend jemand sonst.«
In der Nacht des festgesetzten Freitag wartete Eliza, bis im Haus alles zur Ruhe war, um in die Hütte im letzten Patio zu ihrer Verabredung mit Mama Fresia zu gehen.
Sie stand aus dem Bett auf und ging barfuß und nur mit einem Batistnachthemd bekleidet die Treppe hinunter.
Sie ahnte nicht, welches Mittel sie bekommen würde, aber sie war sicher, daß ihr etwas sehr Unerfreuliches bevorstand; in ihrer Erfahrung waren alle Medikamente unangenehm, aber die
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