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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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man hörte Sprachen aus vieler Herren Länder, die Sirenen der Schiffe gellten, dazwi– schen schrillten die Pfeifen der Wachen. Miss Rose, ein mit Vanille parfümiertes Tüchlein vor der Nase, musterte die ankommenden Passagiere auf der Suche nach ihrem Lieblingsbruder, während Eliza sich eifrig schnüffelnd bemühte, die Gerüche zu trennen und zu erkennen. Der strenge Geruch der frisch angelandeten Fische mischte sich mit dem Gestank vom Kot der Lasttiere und dem Odeur von menschlichem Schweiß. Eliza war die erste, die Kapitän Sommers entdeckte, und ihre Erleichterung war so groß, daß sie nahe daran war, in Tränen auszubrechen. Monatelang hatte sie auf ihn gewartet, denn sie war sicher, daß nur er den Kummer ihrer gefährdeten Liebe verstehen könne. Sie hatte zu Miss Rose oder gar zu Jeremy kein Wort über Joaquín Andieta gesagt, aber sie glaubte fest daran, daß ihr seefahrender Onkel, den nichts überraschen oder erschrecken konnte, ihr helfen werde.
    Kaum hatte der Kapitän den Fuß auf festen Boden gesetzt, als Eliza und Miss Rose sich auf ihn stürzten; mit seinen kräftigen Korsarenarmen fing er beide um die Taille auf, hob sie gleichzeitig hoch und drehte sich mit ihnen wie ein Kreisel unter dem Jubelgekreisch von Miss Rose und dem Protestgeschrei von Eliza, die drauf und dran war, sich zu übergeben. Jeremy Sommers begrüßte ihn mit einem Händedruck und fragte sich, wie es nur möglich war, daß sein Bruder sich in den letzten zwanzig Jahren überhaupt nicht verändert hatte, er war und blieb immer der gleiche Possenreißer.
    »Was ist mit dir, Kind? Du siehst gar nicht gut aus«, sagte der Kapitän und betrachtete Eliza prüfend.
    »Ich habe unreifes Obst gegessen«, sagte sie und hielt sich an ihm fest, um nicht vor Übelkeit umzufallen.
    »Ich weiß, warum ihr an den Hafen gekommen seid, mich abholen. Ihr wollt Parfüms kaufen, stimmt’s? Ich werde euch sagen, wer die besten hat, geradewegs aus dem Herzen von Paris mitgebracht.«
    In diesem Augenblick ging ein Fremder an ihm vorbei und stieß ihn unabsichtlich mit dem Koffer an, den er auf der Schulter trug. John Sommers drehte sich entrüstet um, aber als er den Mann erkannte, stieß er einen seiner scherzhaft gemeinten Flüche aus und hielt ihn am Arm fest.
    »He, Chinese, komm, laß dich meiner Familie vorstellen«, rief er herzlich.
    Eliza musterte den Fremden ungeniert, sie hatte noch nie einen Asiaten von nahem gesehen, und nun hatte sie einen Menschen aus China vor sich, jenem märchenhaften Land, das in vielen Geschichten ihres Onkels eine Rolle spielte. Er war ein Mann unbestimmbaren Alters und verglichen mit den Chilenen eher groß, aber neben dem wuchtigen Kapitän wirkte er schmal wie ein Kind.
    Sein Gang war ohne Anmut, sein Gesicht war glatt und flach, und seine schrägen Augen hatten einen uralten Ausdruck. Seiner würdevollen Bedachtsamkeit wider– sprach das kindliche Gelächter, in das er ausbrach, als Sommers ihn ansprach. Seine Hose endete über den Waden, er trug einen lockeren Kittel aus rauhem Stoff und um die Taille eine breite Binde, in der ein Messer steckte, an den Füßen hatte er schmale Sandalen, auf seinem Kopf prangte ein recht schäbiger Strohhut, und ein langer Zopf hing ihm auf den Rücken. Er grüßte, indem er mehrmals den Kopf neigte, ohne seinen Koffer loszulassen und ohne jemandem ins Gesicht zu sehen. Miss Rose und Jeremy Sommers, verblüfft über die Vertraulichkeit, mit der ihr Bruder eine dem Rang nach zweifellos niedriger stehende Person behandelte, wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten, und erwiderten den Gruß mit einem kurzen, trockenen Nicken. Zu Miss Roses Entsetzen streckte Eliza dem Fremden die Hand hin, aber er tat, als sähe er sie nicht.
    »Das ist Tao Chi’en, der schlechteste Koch, den ich jemals hatte, aber er kann fast alle Krankheiten heilen, deshalb habe ich ihn noch nicht über Bord geworfen«, sagte der Kapitän lachend.
    Tao Chi’en antwortete mit einer neuen Serie von Verneigungen, lachte noch einmal fröhlich ohne ersicht– lichen Grund und entfernte sich dann rückwärtsgehend. Eliza fragte sich, ob er wohl Englisch verstünde. Im Rücken der beiden Frauen flüsterte John Sommers seinem Bruder zu, der Chinese könne ihm Opium erster Qualität verkaufen und Pulver aus dem Horn des Nashorns gegen die Impotenz, falls er sich eines Tages entschließen sollte, mit der schlechten Gewohnheit des Zölibats aufzuhören. Hinter ihrem Fächer versteckt lauschte Eliza

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