Fortunas Tochter
einschiffen wollten. Weil sie so ganz anders aussahen als die Frauen, die man gewöhnlich auf der Straße traf und die sommers wie winters in schwarze Umhänge gehüllt waren, hatte sie angenommen, das seien die gleichen Herumtreiberinnen, mit denen Onkel John sich zu amüsieren pflegte. »Das sind schlechte Weiber, sie legen sich für Geld hin und werden alle in die Hölle kommen«, hatte Mama Fresia ihr einmal erklärt.
Sie hatte ein paar Sätze des Kapitäns aufgeschnappt, als er Jeremy von den Chileninnen und Peruanerinnen erzählte, die sich nach Kalifornien aufmachten, um den Goldgräbern das Gold abzuknöpfen, aber sie konnte sich nicht denken, wie sie das wohl anstellten. Wenn diese Frauen es schafften, ganz allein die Fahrt zu machen und ohne Hilfe zu überleben, dann konnte sie das auch, entschied sie. Jetzt ging sie rasch, mit wild pochendem Herzen, vor Mama Fresia her, das Gesicht halb hinter dem Fächer verborgen, schwitzend in der Sommerhitze.
Die Juwelen aus der Aussteuer trug sie in einem kleinen Samtbeutel bei sich. Ihre neuen Schuhe bereiteten ihr wahre Qualen, und das Korsett preßte ihr die Taille zusammen; der Gestank aus den offenen Abflußgräben, die die Abwässer der Stadt aufnahmen, verschlimmerte ihre Übelkeit, aber sie ging so gerade, wie sie es gelernt hatte in den Jahren, als sie ein Buch auf dem Kopf balancierte und mit einem am Rücken befestigten Eisenstab Klavier spielte. Mama Fresia, keuchend und Bittgebete in ihrer Sprache wimmernd, konnte ihr kaum folgen mit ihren Krampfadern und ihrer Beleibtheit.
»Wohin gehen wir, Kind, um Gottes willen«, aber Eliza konnte nicht antworten, weil sie es selbst nicht wußte. Nur eines war ihr ganz klar: Es kam nicht in Frage, ihre Juwelen zu verpfänden und eine Fahrt nach Kalifornien zu bezahlen, weil es keine Möglichkeit gab, es zu tun, ohne daß Onkel John es erfuhr. Obwohl täglich Dutzende von Schiffen Valparaíso anliefen, war es doch eine kleine Stadt, und im Hafen kannte jeder den Kapitän John Sommers. Sie konnte auch keinesfalls damit rechnen, einen Paß zu bekommen, denn dieser Tage war das Konsulat der Vereinigten Staaten in Chile wegen eines Falles von unschicklicher Liebe des nordamerikanischen Diplomaten mit einer chilenischen Dame geschlossen worden. Eliza kam zu dem Schluß, die einzige Form, Joaquín Andieta nach Kalifornien zu folgen, wäre, als blinder Passagier zu reisen. Onkel John hatte ihr erzählt, daß sich manchmal Fremde mit Hilfe eines Eingeweihten aus der Mannschaft heimlich an Bord schlichen. Vielleicht gelang es einigen, die ganze Fahrt hindurch unentdeckt zu bleiben, andere starben, und ihre Leichen wurden ins Meer geworfen, ohne daß er etwas erfuhr, aber wenn er einen blinden Passagier entdeckte, strafte er ihn genauso wie die, die ihm geholfen hatten. Dies war einer der Fälle, hatte er gesagt, in denen er mit äußerster Strenge seine unanfechtbare Autorität als Kapitän ausübte: auf hoher See galten kein Gesetz und kein Gericht außer dem seinen.
Die meisten illegalen Geschäfte im Hafen wurden, wie ihr Onkel sagte, in den Kneipen abgeschlossen. Eliza hatte noch nie einen derartigen Ort betreten, aber nun sah sie eine Frau in ein nahes Lokal gehen und erkannte sie als eine derjenigen wieder, die sich am Tag zuvor auf dem Kai nach Fahrtmöglichkeiten umgetan hatten. Sie war fast noch ein Mädchen, jung und rundlich, der das schwarze Haar in zwei Zöpfen auf dem Rücken hing, sie trug einen Baumwollrock, eine bestickte Bluse und ein kleines Dreieckstuch über den Schultern. Eliza folgte ihr, ohne nachzudenken, während Mama Fresia auf der Straße stehenblieb und Warnungen herunterbetete:
»Hier gehen nur Huren rein, Kind, es ist Todsünde!« Sie stieß die Tür auf und brauchte einige Sekunden, um sich an die Dunkelheit und den Tabakqualm und den Geruch von verschüttetem Bier zu gewöhnen. Der Raum war gestopft voll von Männern, und aller Augen wandten sich den beiden Frauen zu. Einen Augenblick herrschte erwartungsvolle Stille, und dann setzte ein Chor von Pfiffen und anzüglichen Zurufen ein. Die andere Frau ging mit festem Schritt und offensichtlich gegen derlei abgehärtet zu einem Tisch im Hintergrund, wobei sie rechts und links kräftig zuschlug, wenn jemand sie anfassen wollte, aber Eliza wich entsetzt zurück, ohne zu begreifen, was eigentlich vor sich ging und weshalb diese Männer sie anschrien. Rücklings stieß sie mit einem eben eingetretenen Mann zusammen. Er rief etwas in einer fremden
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